Die Schrecken des Feuers und der Finsternis

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Kreischende Weiberstimmen, gröhlende Mannsbilder, lautsprecherverstärkte Schunkellieder, Grillwurstgestank. 17.02.2013, noch 5 Stunden, dann wird der Spuk der Fasnacht vorüber sein. Das Städtchen Liestal wird wieder in die Agonie des Alltags zurückfallen.
Wie einst vor 700 Jahren Dante Alighieri, wollte auch ich einmal einen Blick in die Vorhölle werfen. Der Chienbäseumzug in Liestal, der Hauptstadt des Nachbarkantons, liess mich meine angeborene Menschenscheu und Abneigung gegen Menschenmassen überwinden. Nach dem eindunkeln stellte ich mich an der Hauptstrasse auf einen Feuerwehrschlauch und wollte die Kamera justieren. Drückte, drehte, hebelte an allen Tasten, Knöpfen und Rädchen meiner Kamera. Wie fotografiert man in dunkler Nacht ? Ich fotografiere sonst praktisch ausschliesslich in der Stellung Automatik. Überbelichtet, unterbelichtet, falschfarben, verwackelt. Nachts geht nichts bei meiner Kamera.

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Warten auf das Lichterlöschen

19.15 h wird die Strassenbeleuchtung gelöscht. Tiefschwarze Dunkelheit. Zu spät, um die Bedienung des Fotoapparates zu erlernen. Nach Trommelpräliminarien beginnt der Chienbäse. Der Feuer-Umzug wird seit 1902 immer am Sonntagabend nach Aschermittwoch durchgeführt. Dabei werden aus harzreichem Föhrenscheiten zusammengebundene „Besen“ lichterloh brennend durch die Liestaler Altstadt getragen. Ein einzelner „Besen“ bringt etwa 40-80 kg auf die Waage.

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Stahlhelm, Nackenschutz, feuerfeste Kleidung

Der Brauch entstammt einer uralten Kulthandlung zur endgültigen Vertreibung des Winters. In archaischen Vorzeiten wurden auf den Hügeln grosse Holzstösse angezündet und die wärmende Kraft des Feuers mit brennenden Scheiten und lodernden Chienbesen ins dunkle, kalte Tal hinuntergetragen. Das Wort chien, kien entstammt dem althochdeutschen und steht für die Kiefer, harzreiches Nadelholz.

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Brennende Chienbesen

Während die „Besen“ abbrennen, sprätzelt, knistert und knallt das brennende Holz einen Funkenregen auf die Träger und die am Strassenrand stehenden Zuschauer nieder. Je nachdem ob man auf der windabgekehrten oder der windzugewandten Strassenseite steht, kriegt man Kaskaden glühender Partikel ab. Die teure Jacke von Missoni bleibt also besser zu Hause. Höllische Gluthitze und beissender Rauch werden kostenlos mitgeliefert.

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behörnter Stahlhelm und feuerfeste Kutte

Rund 300 Chienbesen werden die Route entlang getragen. Für die Herstellung der Chienbesen werden rund 30 Ster Holz benötigt. Das Binden der Besen ist eine überlieferte Kunst, gilt es doch zu erreichen, dass der Besen seinen feurigen Höhepunkt während des Durchganges durch die Altstadt erreicht und nicht vorzeitig auseinanderfällt.

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Stadttor im Flammenmeer

Ein weiterer Höhepunkt des Umzuges sind die Feuerwagen. Schwere, metallene Karren mit einem Gitteraufbau, auf den starke Holzscheite geschichtet sind. Für die Feuerwagen werden nochmals rund 45 Ster Holz benötigt. Die Wagen werden an Ketten oder Riemen mit starken Armen durch die Stadt gezogen. Meterhohe Flammen lodern auf. Der Durchgang durch das Stadttor ist besonders heikel und fasziniert die Zuschauer immer wieder aufs Neue. Der Durchgang wird mit Anlauf im Sturmschritt genommen um zu vermeiden, dass Stadttor und Altstadt in Schutt und Asche gebrannt werden. Wegen der Brandgefahr stehen die Feuerwehren der Stadt und der umliegenden Gemeinden Spritzen bei Fuss bereit, um das Gewölbe des Törleins immer wieder abzuspritzen, entstehende Glimmbrände zu löschen und glühende Holzpartikel von Jacken und Mänteln der Träger zu wischen.

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Feuerwagen

Als ich beobachtete die Gestalten
Da sprach der Führer: „Geister siehst Du dort,
die sich verhüllen in des Feuers Falten“
[Dante, Göttliche Komödie, Hölle, Vierundzwanzigster Gesang]

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Feuerwagen

Die Feuerwagen legen gerne einen Halt ein, um die Zuschauer der Höllenhitze teilhaftig werden zu lassen. Ein Zurückweichen ist als vorderster Zuschauer kaum möglich. Zu dicht stehen die Menschenmassen hinten dran.

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gibt schön heiss
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wabernde Lohen

Glutrot, als ob sie aus dem Feuer kämen.
Und jener sprach zu mir: »Das ew’ge Feuer,
Das drinnen glüht, macht sie dir rot erscheinen,
Wie du nun schaust in dieser untern Hölle».
[Dante, Göttliche Komödie, Hölle, Achter Gesang]

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wem der Besen vorzeitig abbrennt, läuft ohne hinterher

Wer ist im Feuer dort, das so nach oben
Gespalten naht, als schlüg‘ es aus dem Holzstoß ?
[Dante, Göttliche Komödie, Hölle, Sechsundzwanzigster Gesang]

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Der grösste der Feuerwagen im Vollbrand

Ein infernalisches Schauspiel. Feuer ist elementarer Bestandteil vieler Riten und Bräuche. Als Vision einer heidnischen Feier aus grauer Vorzeit wird im Ballet Le sacre du printemps eine Jungfrau geopfert, um den Frühlingsgott gnädig zu stimmen. In der Oper steigen gleich mehrere Damen auf brennende Scheiterhaufen. Hier die grossartig singende Frida Leider als Brünnhilde: „Starke Scheite schichtet mir dort !

Der Faszination Feuer kann man sich nur schwer entziehen. Wieder zuhause, reisst mich Frau L. schnuppernd aus meinen Träumereien:  Du riechst wie eine Rauchwurst !

La commedia è finita. Das Leben hat mich wieder. Morgen koche ich Kraut mit geräuchter Wurst.

Quellen:
Chienbäse-Verein
Christoph Ransmayr

26 Kommentare zu „Die Schrecken des Feuers und der Finsternis“

  1. Du schaffst es den Funken fuer dieses Brauchtum ueberspringen zu lassen – und Frau L. bringt die geliebte Prise Humor dazu.

    Das Lied allerdings muss ich mir aufheben, bis wir wieder zuhause sind.

  2. Besser und iidrüggliger hättisch du dä Baselbieter Bruuch nit kenne beschriibe und bebildere. Me muess‘ en wiirgglig emol erläbt ha. Das gfallt mr ! Rauchwurscht hi oder här.

  3. Für die Frühlingsopferwurst empfehle ich zur Tischmusik statt Strawinsky doch eher de Fallas Danza del Fuego. Gleichfalls mystisch-magisch, macht aber weniger Geräusche als das Kraut 😉

  4. Sehet ihr am Fensterlein
    Dort die rote Mütze wieder?
    Nicht geheuer muß es sein,
    Denn er geht schon auf und nieder.
    Und auf einmal l welch Gewühle
    Bei der Brücke, nach dem Feld!
    Horch, das Feuerglöckchen gellt:
    Hinterm Berg, hinterm Berg
    Brennt es in der Mühle!

    Eduard Mörike

  5. Köstlich geschrieben und – wie ich finde – richtig gut fotografiert. Der Funke springt über 😉

  6. Und anschliessend zum Morgenstraich…
    Sehr schöne Bilder – trotz der von Dir anfänglich geschilderten Schwierigkeiten mit der Technik.
    😉
    Schon mal mit einem Einbein probiert? – ist etwas leichter, als ein Dreibein-Stativ. Oder wäre das angesichts der Menschenmassen unnütz gewesen?
    LG
    Markgräflein

  7. Feuer bei Nacht zu fotografieren gehört zu den schwierigsten Übungen finde ich. Und die hier ist mehr als gelungen! Wundervolle Bilder, dankeschön.

  8. Nee ist das schön, wenn man so liest, dass du auch ein großer Fan der Automatikeinstellungen bist ;-)! Um so toller sind dann ja doch die Feuerfotos geworden und völlig fasziniert von den WIRKLICH sehr schönen….zufällig???…..entstandenen Bildern, hab ich glatt vergessen, den Text weiterzulesen. Was ja auch wiederum schade ist. Also haben Automatikbilder ohne große fototechnische Herausforderung ja doch was Gutes ;-)! LG Anne

  9. @Micha: ihr seid immer noch nicht zu Hause ?

    @SchnickSchnackSchnuck: der Grusel hält sich unter so vielen Leuten in Grenzen.

    @Poliander: Licht wirkt aufhellend, Wärme wohltuend 😉

    @Basler Dybli: einmal muss man das gesehen haben.

    @Sugarprincess: Zündhölzer wegschliessen oder Feuerversicherung erhöhen !

    @Bonjour Alsace: Dante ging auch nicht allein. Er hielt sich an Vergil.

    @Ni Ka: derartige Feuerumzüge gibts auch in Deutschland.

    @Turbohausfrau: nur nicht zurück schauen (Don’t look back), sonst wird man zur Salzsäule.

    @bee: ich wart noch ein wenig mit dem Opfer, Eis und Schnee gefallen mir.

    @evazins: bald wird alles zu Asche gebrannt sein 😉

    @Rosa Mayland: there were many expats looking at the procession.

    @the rufus: 3/4 der Fotos waren unbrauchbar weil verwackelt. Der Rest musste zuhause mit light.room abgedunkelt werden.

    @Buchfink: das liest sich sehr gemütlich-biedermeierlich. Feuer kann aber recht Ungemütlich sein.

    @Franka: Achtung heiss 😉

    @Karin Schindler (Markgräflerin): ich hatte das Einbein montiert und wollte erst mit hohen ISO-werten knipsen. Hab dann im Dunkeln aber völlig den Überblick verloren. Manche Besucher machen gleich durch und gehen via Beiz an den Morgenstraich.

    @Chris: wenn ich die von Andern veröffentlichten Laternenbilder von der Basler Fasnacht sehe, habe ich noch viel zu üben.

    @Frau Ü: wenn man zuhause nur den immer gleichen Teller unter der immer gleichen Lampe fotografiert, hat mans einfacher 🙂 Aber selbst da geht hin und wieder mal was schief, je nachdem ob die Sonne ins Zimmer scheint oder nicht.

  10. Tolle Bilder!
    Dankmobiler Smartgeräte ist es uns heute bereits nach dem Frühstück heiß geworden – während es draußen dicke Flocken schneite.
    Ein sehr schöner Bericht, danke!

  11. Das Schöne an den Fotos der Anderen ist ja immer, dass man nicht sieht wieviel Ausschuss die hatten bzw. wieviel Lightroom da noch dazwischen kam. Ein Fotograf, der diversen Hochglanzmagazinen zuliefert, meinte mal, wenn er bei 50-100 Bildern ein richtig gutes dabei hat, ist er zufrieden.

  12. Als eine Familie die schon einige Jährchen im Ausland lebt , ist es fuer uns immer eine große Freude ihre so lebendigen Berichte zu „verschlingen“. Dankeschön Von meinem iPad gesendet

  13. Da ich das Ransmayr-Buch schon mehrfach geradezu aufgesogen habe, darf ich sagen, dass dein Bericht über die Schrecken des Feuers dem über die Schrecken des Eises in nichts nachsteht. Und deine Bilder sind auch bunter.

  14. Ich habe gerstern Ransmayr’s neueres Buch zu Ende gelesen. Ein sehr empfehlenswerter Autor! Ich wohnte in jungen Jahren in einem Haus, im 1. Stock, in dem das Café darunter, in der Nacht völlig ausgebrannt ist. Ich könnte allerhand vom Schrecken und dem Feuer in der Nacht erzählen!

  15. @mlocuc: Bloglesen senkt demnach die Heizkosten 😉

    @chris: elektronische Kameras haben die Fotokunst schon sehr profaniert bzw. demokratisiert..

    @Eveline C.: mir macht es Freude, Dinge in meiner erreichbaren Nähe schriftlich und bildlich festzuhalten. So bleiben sie länger in Erinnerung.

    @Jutta: „Die letzte Welt“ hat mich von seinen Werken am meisten beeindruckt.

    @Magdi: „Der Atlas eines ängstliche Mannes“ steht bei mir noch an. Huch. Da hört der Spass auf, auch wenn man „nur“ im ersten Stock wohnt.

  16. Tolle Bilder über einen Brauch, von dem ich noch nicht mal annähernd was gehört habe. Dabei ist Liestal ja weiss-der-Gugger nicht sooo weit weit von hier.

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