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Blumenwandern im Aspromonte 2024 (1)

In meinem Blog holpert es derzeit mit Kochen und der Beitragskadenz. Allerhand Unbill, mit der wir uns herumschlagen dürfen, nimmt unsere Zeit und Kraft völlig in Anspruch.

Umso mehr halten wir uns an schöne Erinnerungen: Naturpark Aspromonte im südlichen Kalabrien, revisited. Der hat uns vor 2 Jahren so gut gefallen, dass wir ihn über Ostern erneut für eine Blumenwanderung aufsuchten. Gleicher Organisator, gleiche Reise. Diesmal in einer kleinen Reisegruppe von 8 naturaffinen Personen, die sehr gut harmonierte.

Selfie mit Wifi.

Nach einem Zwischenhalt mit Abendessen in Rom war der Endbahnhof unserer Hinreise diesmal Reggio di Calabria. Wo vor Jahren der Zugang zum Meer durch Eisenbahngleise verbaut war, ist heute eine wunderschöne, 1.7 km lange Uferpromenade (Lungomare Falcomatà, „der schönste Kilometer Italiens“) entstanden. Hund und Bronzestatue der Göttin Athena Promachos beschützen die Stadt. Gegenüber im Saharastaub-Dunst winkt Sizilien.

Achtundvierzig ätherisch wirkende Säulen aus Drahtzaun bilden einen imaginären Raum ohne Materie: Opera, eine Kunstinstallation des Mailänders Edoardo Tresoldi (2020).

Im kleinen, grekanischen Bergstädtchen Pentedattilo auch heuer unsere erste Wanderung im Aspromonte. Das Dorf hat seinen Namen von der Form der Klippe des Monte Calvario: eine riesige Hand mit fünf Fingern. Eine griechische Gründung, die aus dem 7. Jhdt. vor Chr. datiert. Direkt unter diesem Berg entstand zuerst die Burg, später die Altstadt. Ein schön wiederhergerichtetes, aber nahezu unbewohntes Kleinod mit Kirche und Bar, eingebettet in eine aussergewöhnliche Naturlandschaft. Die roten Blüten gehören zu einem Judasbaum, Cercis siliquastrum.

Blühende Ringelblumen, Calendula officinalis, trotz anhaltender Trockenheit im Winter.

Unterkunft in Amendolea im Agriturismo Il Bergamotto. Im Headerbild der abendliche Blick auf die Ruinen des Schlosses. Mehr darüber siehe auch Amendolea. Tags darauf die erste, grosse Wanderung nach Gallicianò.

Färberwaide. Die Pflanze wurde in Europa während Jahrhunderten zum Blaufärben genutzt. Dazu wurden die Pflanzen zu Brei gemahlen, enzymatisch vergoren, dann getrocknet und zu Kugeln geformt. Zum Färben versetzte man die Kugeln mit abgestandenem Urin, erwärmte die stinkende Brühe und tränkte nach einigen Tagen die Textilien darin. Beim Trocknen der Textilien an der Luft oxidiert der gelbe Farbstoff zu blauem Indigo. Daher stammt auch der Begriff des „Blaumachens“.

Schmetterlingsorchis, Orchis papilionacea L.

Drei-Männer-Haus: Italienisches Knabenkraut, Orchis italica

Tausendblättriger Hahnenfuss, Ranunculus millefoliatus

Rundblättrige Minze, Mentha rotundifolia

Nach langem Aufstieg mit atemberaubendem Ausblick auf die Schluchten der Fiumaren langen wir am Ziel an. Mehr darüber siehe auch Gallicianò.

Gallicianò, Kirche mit Dorfplatz

Wenig Betrieb im örtlichen Waschhaus. Wer will an Pasquetta (Ostermontag) waschen, wenn im Dorf endlich mal etwas los ist.

In der Cooperativa erwartet man uns. Alles Gute kommt von oben.

Ein österliches Festessen. Hier der Antipasto-Teller. Köstlich die frische Ricotta aus allem, was Milch liefert. Begleitet vom allgegenwärtigen Nerello calabrese und österlichen? Zeppoline.

Vor dem Abstieg das Volksfest an Pasquetta auf dem Platz vor der Kirche mit einer spontanen Tarantella der Dorfjugend.

Auf Ziegenpfaden zurück nach Amendolea.

Im Agriturismo hängen die Bergamottenschalen von der Decke. Daraus wird Früchtetee gemacht.

Ein vegetarisches Abendessen u.a. mit Wildkräutern angereicherte Blattzichorie aus der Pfanne, aromatisiert mit Bergamotte.

Ugo Sergi, Besitzer des Bergamottenhains erklärt uns Herkunft, Geschichte, Eigenart, Verwendung und Wirkung der Bergamotte. Ein Mensch, dem man stunenlang zuhören könnte. Mehr darüber siehe Il Bergamotto.

CH-1700 Fribourg: Revisited

15 Jahre sind seit meinem letzten Besuch in Fribourg vergangen. Damals mit Madame L. und Auto. Heute mit Frau H. und Eisenbahn. Und verbilligtem Tagesticket. Ich hänge an meiner Tradition der kleinen Ausfahrten.

Ein alter Bekannter aus meinem kulinarischen Gruselkabinett, frisch aufgepeppt, heisst uns an der gedeckten, hölzernen Bernbrücke willkommen.

Fribourg ist eine Fussgängerstadt an der Sprachgrenze. 1957 zählte die Rue de Lausanne noch acht Lebensmittelgeschäfte, drei Metzgereien, fünf Restaurants, vier Apotheken, zwei Eisenwarenhandlungen, eine Buchhandlung, zwei Bäckereien, fünf Schuhgeschäfte, vier Uhren- und Schmuckgeschäfte, neunzehn Kleider- und Textilgeschäfte, drei Coiffeurläden und weitere, die den Bedarf einer Kleinstadt deckten. Tempi passati. Heute haben sich die Gewichtungen verschoben: Metzgereien und Bäcker sind verschwunden, ein Lebensmittelhändler (Saigon Market) und ein Käseladen halten sich noch. Hingegen haben sich die Restaurants auf 18 vermehrt.

Die ehemalige Metzgerei Despont. Das darin vor Jahren etablierte vegane Restaurant ist seit einem Jahr geschlossen. Der Ochse über dem Eingang hat seine Ruhe wiedergefunden.

Immerhin hatte ich vorgeplant: das vegetarische Menu in 7 Gängen im Restaurant Pérolles von Pierrot Ayer. Entdecken, wie ein Sternekoch mit dem Thema Vegi umgeht. Im weissgekachelten sous-sol eines modernen Bankgebäudes am Bahnhof. Hier nur vier Muster aus dem Menu:

DASHI
Champignon – Daïkon – Chou frisé. (Buchenpilze mit gepufftem Quinoa, Daikonravioli mit Pilzfüllung, Wirsing, in aromatischer Dashi)

CARDONS DE GENÈVE
Endive – Truffe noire du Périgord (fein gewürfelte Cardons und Endivie in Ravioli, sowie Streifen von Cardons und Trüffeln, mit Parmesanschaum serviert)

POJARSKI DE POLENTA
Salsifis – Cébette – Crosnes du Japon (Pojarskiförmige Polentaschnitte, Bundzwiebeln, Karotten, Schwarzwurzeln, Knollenziest, vegetarischer Jus, Dazu eine Büschelibirne)

MIEL DE NOS RÉGIONS
Citron – Poire (Dessertkreation mit Honig, Zitrone und Birne, Bisquit mit Honiggitter)

Am Nachmittag Besuch der gotischen Cathédrale Saint-Nicolas. Die St. Niklauskathedrale wurde ab 1283 bis 1490 in mehreren Etappen erbaut an Stelle eines romanischen Gotteshauses. Neueren Datums sind ihre wunderbar leuchtenden Fenster. Die Glasfenster wurden vom polnischen Künstler Józef Mehoffer entworfen und zwischen 1896 und 1936 von einem Freiburger Atelier in Bleiglasfenster umgesetzt.  Hier das vom Jugendstil inspirierte Fenster „Maria vom Siege“.

Im Fenster des Nikolaus von der Flüe, das während des Ersten Weltkriegs 1915–1918 entstand, legt unten eine Gruppe Eidgenossen ihren Treueschwur vor dem Altar des Vaterlandes ab. Über der zentralen, monumentalen Säule verkörpern zwei Frauen Freiheit und Vaterland. In der Mitte zeigt sich Bruder Klaus links inmitten seiner Familie, rechts als Einsiedler.

Von der Kathedrale, dem Bollwerk des Erzkatholizismus, steigen wir den steilen Stalden hinab in die an der Saane gelegene, weltliche Unterstadt.

Place du Petit-Saint-Jean. Hoch auf der andern Flusseite der Dürrenbühlturm, in der Mitte des 13. Jahrhunderts erbaut.  Die zugehörige Mauer wurde 1840 abgebrochen.

Detail eines Hauses am Kleinen St. Johannsplatz. Für Geranienkistchen war es noch zu früh.

Tour des chats und Tour de Berne. Bei der Bernbrücke ist die Ringmauer noch intakt.

Blühender Tierlibaum (Kornelkirsche, cornus mas) am Ufer der Saane. Doch die Zeit liess keine weitern Kontemplationen zu: Mit der wasserbetriebenen Standseilbahn fuhren wir wieder in die Oberstadt und erreichten, ausser Atem, unsern Zug. Die zuhause gebliebene, hungrige Hundedame verlangte dringend nach ihrem Essen: weder vegan noch vegetarisch.

Quellen:

wiki, Glasmalereien von Mehoffer

Ville de Fribourg, Lausannegasse 1994

Blumenkohl-Dattel-Zimtkartoffelsalat

Die Führung durch das Gondwana-Gewächshaus im Botanischen Garten der Uni Bern führte uns mitten im grauen, kalten Nordwinter in die Wärme des Südsommers. «Gondwana» nennen die Geologen den urgeschichtlichen Grosskontinent der südlichen Hemisphäre, der sich vor rund 200 Millionen Jahren bildete, nachdem der bis dahin zusammenhängende Urkontinent Pangaea in zwei Teile (Gondwana, die südliche, und Laurasia, die nördliche Hemisphäre) zerfiel. Das Leben auf den beiden Grosskontinenten entwickelte sich in eigene Richtungen, neue Pflanzengruppen entstanden. Durch die Verschiebung der Kontinentalplatten spaltete sich Gondwana unter Auseinanderdriften weiter auf in die heutigen Kontinente Südamerika, Afrika, Australien, Indien und die Arabische Halbinsel.

Banksia ericifolia (südöstliches Australien)

Die meisten Pflanzengruppen der einstigen Gondwanaflora sind heute ausgestorben, einige Familien hatten jedoch Bestand. Auf den Kontinenten des ehemaligen Gondwana entwickelten sich zudem über die Jahrmillionen neue Familien, Gattungen und Arten. Ein kleiner Ausschnitt aus dieser riesigen Vielfalt kann im Gondwanahaus besichtigt werden.

Bulbine frutescens (Südafrika)

Und weil Samstag war, nahmen wir zuvor den Umweg auf den Berner Wochenmarkt. Dabei fanden wir Zimtkartoffeln aus Gond…, aus dem Berner Gürbetal. Ein uns bislang unbekanntes Gemüse. Die Zimtkartoffel (Cubio, knollige Kapuzinerkresse, Tropaeolum tuberosum) ist keine Kartoffel. Ursprünglich stammt sie aus Südamerika und wird dort seit Jahrhunderten genutzt. Sie ist anspruchslos, frostresistent, benötigt weder Pflanzenschutz noch Dünger und wird bis auf 4000 Metern Höhe angebaut. Für die arme Bevölkerung ein Grundnahrungsmittel.

Roh besitzt die Zimtkartoffel eine leichte, aromatische Schärfe, die an Senf und Meerrettich erinnert.

Blumenkohl-Dattel-Zimtkartoffelsalat

Zutaten und Zubereitung

2 Personen

½ kleiner Blumenkohl, roh, in möglichst kleine Röschen gezupft oder geschnitten
ein paar Medjooldatteln, fein gewürfelt
1 Handvoll Baumnüsse, grob zerdrückt
1 Zimtkartoffel, längs geviertelt in Scheiben geschnitten
Mayo
Petersilie
Salz, weisser Pfeffer

Blumenkohl, Datteln, Nüsse und Zimtkartoffelscheiben trocken mischen, dann etwa 3 EL Mayo untermischen, abschmecken mit Salz und Pfeffer. Garnitur: Gehackte Petersilie und ein paar in Streifen geschnittene Datteln.

Für die vegane Mayo:
In einem hohen, schmalen Mixbecher 2 dl Sojamilch zusammen mit 1 EL Senf, Saft einer ½, kleinen Zitrone, ½ TL Salz, etwas Pfeffer und 2-2.5 dl Rapsöl vorlegen. Mit dem Stabmixer (Messer) bei hoher Drehzahl zu einer cremig-festen Masse mixen. Hält im Kühlschrank eine Woche.

Gekocht oder gebraten verliert sich die leichte Schärfe der Zimtkartoffeln, um einem angenehmen, runden Geschmack und einem Hauch von Zimt und Anis Platz zu machen. Hier gedämpft und in Butter geschwenkt mit den violetten Sprossknospen. Dazu Linsen, Rosenkohl und Küttiger Rüebli.

Aufwisch im Piemont

Letzter Eintrag 2023 in meinem Reisetagebuch. Von der Maremma herkommend, blieben wir Ende Oktober noch 4 Tage im Piemont hängen. In Novello, im selben airbnb wie letztes Jahr. Wunderschöne Lage. Aus den südlichen Alpe marittime grüsst der über 3800 m hohe Monviso mit einer Schneedecke, während sich im Vordergrund der Fiume Tanaro langsam durch das Tal schlängelt.

Natur, Reben und Haselnüsse rund um unser Häuschen.

Das folgende Mittagessen in der Osteria Veglio in La Morra hatte ich diesmal reserviert, nachdem vor einem Jahr alle Plätze ausgebucht waren. Deshalb konnten wir gemütlich am „Le Brunate“ Weinberg der Familie Ceretto vorbei nach La Morra tuckern. Hier steht die 1912 erbaute „Capella della Madonna delle Grazie“ die damals als Kantine für die Arbeiter in den Rebbergen erbaut wurde. Ora et labora. In den siebziger Jahren kaufte die Familie den Rebberg samt der inzwischen verfallenen Capella, liess sie renovieren und durch die beiden Künstler David Tremlett (innen) und Sol LeWitt (aussen) neu gestalten. Dem amerikanischen Konzeptkünstler LeWitt gelang es damit, ein neues Wahrzeichen im Gebiet des Barolo zu schaffen. Heute wird sie nur noch nach dem Wein, Barolo- bzw. Le Brunate-Kapelle benannt.

In dem kleinen Weiler Annunziata findet man vor der Osteria Veglio die Gebäude eines ehemaligen Benediktinerklosters mit romanischen und barocken Elementen aus dem 15. bis 17. Jahrhundert. Heute sind darin einerseits die Chiesa della Santissima Annunziata, ferner ein Weinmuseum untergebracht. Uns interessierte aber nur noch das Mittagessen in der Osteria.

Herbstliche Gemüse auf Pastinakenpüree für Frau H.

Der im Ofen gebackene Wirsing, gefüllt mit Salsiccia di Brà und Kürbiscreme für mich.

Spinat-Ricotta-Ravioli mit Salbeibutter für die Dame in Grün. Agnolotti al plin im Bratenjus (Rezept siehe hier) für mich.

Die Osteria Veglio bietet eine traditionelle, ausgezeichnete Küche mit modernem Einschlag und grosser Weinauswahl. Empfehlenswert.
In La Morra liegt auch unser nächster Lebensmittversorger, der Supermercato Borello. Hier lässt es sich leben.

Weil das Wetter so schön mitspielte, wanderten wir am späten Nachmittag von Novello nach Barolo und zurück. Blick auf Barolo.

Das ursprüngliche Schloss wurde im 10. Jahrhundert als Befestigungsanlage erbaut und im Lauf der Jahrhunderte unzählige Male verändert, erweitert, wieder aufgebaut oder restauriert. Ab dem 13. Jahhundert gelangte das Schloss in die Hände der Familie Falletti. Es diente vielerlei Zwecken, meist war es feudaler Wohnsitz. Seit dem Tod der letzten Nachkommen 1864, verwaltet eine gemeinnützige Stiftung das Familienvermögen. So diente das Schloss bis 1958 als religiöses Internat und schliesslich als Museum mit Sälen in der Originalausstattung des 19. Jahrhunderts. Zudem beherbergt es das Weinbaumuseum des Barolo, eine Sammlung ethnografischer und önologischer Objekte über den Weinbau in den Langhe. Jede Nutzung hinterliess ihre architektonischen Spuren.

Abendstimmung am Bussia-Rebberg.

Am Samstag wollte ich, einmal im Leben, an die Trüffelmesse in Alba. Das war keine gute Idee, aber nicht anders zu machen. Die endlos lange Via Vittorio Emmanuele vom Domplatz bis zum Piazza Michele Ferrero ein riesiger Kleiderladen. Durchkommen nur im Einbahnverkehr.

In den Messebauten an derselben Strasse trafen wir dann auf die dem heiligen Trüffel geschuldete Ruhe.
Ob Trüffel-Grosshändler oder…

Trüfel-Klfeinhändler: Die Preise waren (mir) zu hoch. Und meinen Hut hatte ich ohnehin nicht dabei.

Beifänge, wie Nocciole, Dolci, Salumi und Vino ergänzen das Angebot.

Gelangweilte Besucher, die sich überhaupt nicht um Trüffel interessierten.

Mittags, wie schon letztes Jahr, Essen bei Giuseppe und Francesco d’Errico im Madernassa. Wenn wir schon einmal hier sind. Obwohl mich eine einfache, köstliche regionale Küche ebenso begeistert, lasse ich mich von den Ideen der Topchefs immer wieder gerne faszinieren. Hier vom grossen Menu in 9 Gängen „à mano libera“ ein paar Beispiele:

Insalata verde: Grünzeug und erfrischende Sphären, begleitet von einem Gurken/grünem Apfelsorbet an Olivenöl-Dill-Vinaigrette. Harmonie und Präzision sorgen für das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Elementen. Dennoch sind die einzelnen Zutaten gut zu unterscheiden.

Mare Nostrum: Calamaretti und Cannolicchi (kleine Schwertmuscheln), die mit leicht geräuchertem Rindermark, Tapiokachips und schmackhaften Kräutern und Seefenchel kombiniert sind. Serviert an einer Beurre blanc mit Salicorneextrakt: alles in einem unglaublichen Gleichgewicht, ein Spaziergang am Meer.

Ciocciola: Ein Ravioli, wie ich es noch nie gesehen habe. Gefüllt mit Robiola di Roccaverano, einem piemontesischen Weichkäse, dazu eine Tomatenessenz, welche die Komplexität und die Aromen der reifen Tomate in einer konzentrierten Brühe festhält.

Sim-Sim: ein zartes, in Speck eingewickeltes Rehfilet zusammen mit geräucherter Aubergine, mit Orangenschale parfumiert, dazu eine Sim-Sim-Sauce auf der Basis von gerösteter Sesampaste kombiniert mit orientalischen Aromen, süssem Sake, weissem Miso, Ingwer und Knoblauch.

Dazu ein Glas gereifter Barolo 2012

Collisioni: das Pré-Dessert, süss-saurer Kürbis mit Pistazien-Ganache, Cassis-Gelee, fermentiertem, schwarzem Schalottensorbet, Erdbeermarinade mit Pedro Ximenez Sherry-Essig und Schnittlauchöl. Ein Kaleidoskop von Aromen.

Genug von Sterneküche. Sonntags war wieder Hausmannskost an der Reihe. Sonne vorbei. Burgen- und Kirchentour. Hier die Chiesa San Lorenzo in Castiglione di Falletto. Ein merkwürdiges Mischmasch aus romanischem und neogotischen Stil aus dem Jahre 1893. Sehenswerter das daneben stehende, in Privatbesitz befindliche Castello Castiglione, eine mächtige Burg aus dem 12. Jahrhundert.

Besser zugänglich ist die Mitte des 14. Jahrhunderts von der Familie Falletti aus Barolo erbaute, mittelalterliche Wehrburg in Serralunga d’Alba.

Pünktlich zur Heimreise am Montag begann es wieder zu regnen. Kleiner Pipihalt um 11 Uhr unter dem (kaputten) Regenschirm für die Hunde in Aosta. Letzte Gelegenheit, ein Stück Fontina zu ergattern. Dazu benötigten wir Brot. Auf dem Weg zum Käseladen stolperten wir über einen kleinen Brotladen: Altamura Pizza and Bakery Concept, an der Piazza Roncas. Die Auslagen waren noch leer, wartende Kundinnen, dazu die abschreckende Wirkung des hybriden Anglitaliano. Wieder raus&weiter. Auf dem Rückweg -immer noch auf Brotsuche, in Sachen Brot sind wir anspruchsvoll- betraten wir das Lokal erneut. Faszinierender Duft nach mit lievito madre gebackenem Brot. Indessen liegen die Laibe in der Auslage. Die Pizzen sind noch im Ofen und kommen eine Viertelstunde später. Für mich die Pizza mit einheimischer Kalbswurst und Cime di Rapa. Für Frau H. jene mit Kürbis und Stracciatella. Dazu ein Riesenlaib Brot. Wortreich empfohlen von den wartenden Kundinnen. Künftig gibt es für uns in Aosta nicht nur Pipihalt sondern Pizzapflichthalt.

Genug gereist. Zuhause ist es auch schön. Happy New Year!

I-5800 Toskana (3)

Bevor das Jahr zu Ende geht, nutze ich die ruhige Zeit, in der kein vernünftiger Mensch am PC sitzt, um meinen letzten Toskanabericht loszuwerden: Der Spätherbsttag begann mit stürmischem Regen. Wir retteten uns in die Berge. Genauer an die Flanke des Monte Amiata, einem längst erloschenen Vulkan. Unser sturmfester Regenschirm aus Karbonfasergestänge erlitt dabei Totalschaden. Hier, in einem kleinen Dorf, Seggiano, im Ortsteil Pescina bietet Roberto Rossi seit vielen Jahren Sterneküche aus dem eigenen (grossen) Garten. Gewürzt mit Olivenöl, das auf dem Anwesen aus den kleinen Seggiano-Oliven hergestellt wird.

Wir leisteten uns das vegetarische Menu „Diario dei nostri orti“ für 115 € p.P.
Der erste Gang wunderschön beschrieben: La gallina ha fatto un uovo fritto in un cesto di foglie e fiori

Danach:

Zuppetta di castagne
(Kastaniensuppe mit Rosmarin -ohne Bild-)

Tortello soffice di patate, finto ragù
(Weicher Kartoffeltortello, Randenragout -ohne Bild-)

Risotto di Carnaroli alle gemme di abete bianco del Monte Amiata
(Carnaroli-Risotto mit Weisstannen-Sprossen, eine absolute Köstlichkeit)

Tartelletta di frolla, erbette aromatiche, stracciatella
(Mürbeteig-Törtchen, aromatische Kräuter, Stracciatella)

Umwerfend auch der „Fleischgang“, der aussah wie ein Stück Guancialespeck:
Lingotto di melanzane, caramello di more ed erba cola
(ein bissfester aber durchgegarter Auberginenblock mit Brombeer-Karamell, gewürzt mit Colablättern)

Die Goldfolie wäre nicht nötig gewesen.

Danach: (ohne Bild)

Meringata,, sorbetto al limone, olio extra vergine di oliva und Piccola pasticceria di fine pasto (Petit fours)

Trotz anfänglich etwas distanziertem Personal war das ein unglaublich tolles Erlebnis. Jederzeit wieder.

In Seggiano gibt es noch den „Giardino di Daniel Spoerri“, wo auf 16 ha über hundert Skulpturen und Installationen von rund 50 verschiedenen Künstlern zu sehen sind. Die Anlage ist jedoch ab Spätherbst geschlossen. Ob in diesem Ofen neben Hexen (siehe Ofentüre) auch Pizzen gebacken werden, war nicht in Erfahrung zu bringen.

Zu den weiteren (wenigen) „Attraktionen“ von Seggiano gehört der Olivo nel Cisternone, eine wissenschaftliche Einrichtung, die den grössten mit Aeroponik-Technologie versorgten Baum der Welt beherbergt.

Der Olivenbaum befindet sich oben auf einer ehemaligen, in die Stadtmauer eingelassenen Wasser-Zisterne: Stamm und Laub sind von außen sichtbar, während die Wurzeln beim Eintritt in die Zisterne aufgehängt und sichtbar sind. Sensoren entscheiden, ob und wann die Pflanze hungrig ist, dann werden die Wurzeln mit Nährstoffdampf besprüht.

Tags darauf ein Besuch in Grosseto, Zentrum der Maremma, Hauptstadt der Provinz Grosseto. Die Altstadt rundum umgeben von dem imposanten Mauerwerk der Medici aus dem 16. Jahrhundert.

Am Piazza Dante rechts der neogotische Palazzo Aldobrandeschi

links der Dom. Die nach dem Schutzpatron von Grosseto benannte Kathedrale San Lorenzo ist das wichtigste Gebäude der Stadt.

Wichtiger war uns ein Besuch in der kleinen, modernen Markthalle fuori mura. Ein kleines, ausgesuchtes Angebot, jedoch nicht zu vergleichen mit dem im Gewerbegebiet liegenden Ipercoop, in welchem man gut den ganzen Tag verbringen könnte.

Fine

I-5800 Toskana (2)

Von unserem Maremma-Häuschen aus liegt Siena eine Fahrstunde entfernt. In Siena haben viele Läden auch Sonntags offen. Ein Tag, an dem auch einheimische Touristen sich in der Stadt vergnügen wollen. Die Piazza del Campo ist halbrund und leicht abschüssig. Am tiefsten Punkt stehen der Turm und der Palazzo Pubblico, das Rathaus. Der Turm des Palazzo Pubblico, der Torre del Mangia, wurde zwischen 1325 und 1344 errichtet, ist ohne Blitzableiter stattliche 87 Meter hoch und steht fest auf einem aus Ziegelsteinen erbauten Sockel.

Im Hof des Rathauses wendet sich der Blick automatisch in den Himmel.

Der kleine Rundgang zum Dom und bis zum Palazzo Salimbeni zeigt deutlich, wie hügelig die Stadt liegt.

Palazzo Salimbeni, Erbaut wurde der Palazzo ursprünglich als Festung von der damals mächtigen Seneser Familie der Salimbeni im 12. Jahrhundert. Aufgrund mehrerer Versuche, die Macht in der Stadt an sich zu reißen sowie ihrer guelfischen (Papstfreundlichen) Gesinnung wurde die Familie 1419 aus der (Kaiserfreundlichen) Stadt verbannt und all ihre Güter von Stadt und Republik konfisziert. Heute ist es der Hauptsitz der Bank Monte dei Paschi di Siena, die älteste noch existierende Bank der Welt.

Die Suche nach einem ruhigen Plätzchen für das Mittagessen zog sich etwas hin, die einen Lokale waren Sonntags geschlossen, andere zu touristisch, trotzdem wurden wir fündig: im Mugolone, einem altehrwürdigen Restaurant, inzwischen aber in Küche, Angebot und Lokal völlig modernisiert. Hier nur 2 Bilder der primi:

vegetarisch für Frau H.: Spinat-Ricotta Gnudi mit Pecorinosauce

für mich: Pici mit Entenragout.

Der nächste Tag begann in Wolken, wiederum eine Stunde Fahrt bis Montalcino. Der Ort war über Jahrhunderte ein Spielball der Mächte aus Siena und Florenz. Siena gewährte den Bürgern aus Montalcino die Seneser Staatsbürgerschaft, errichtete 1361 die Festung Fortezza und verstärkte die Stadtmauern. Im Zentrum der neoklassisch erneuerte Duomo. Berühmt ist der Ort heute durch den Weinbau. Der Brunello di Montalcino ist einer der teuersten Spitzenweine Italiens.  

Pienza, zwischen Montalcino und Montepulciano gelegen, ist Geburtsort von Aeneas Silvius Piccolomini, Spross einer verbannten Sieneser Familie. 1431–1449 nahm er als Begleiter eines Kardinals am Konzil zu Basel teil. 1458 wurde Piccolomini zum Papst unter dem Namen Pius II (1405-1464) gewählt. Der Basler Rat verband seine Glückwünsche zur Wahl mit der Bitte nach einer Universitätsgründung. Von einer Uni versprachen sich die Basler geistiges Streben und gleichzeitig Profit. Der Bitte wurde gnädig stattgegeben, die vom Papst erhofften Fundationsgüter zur Finanzierung der Uni wurden jedoch nie übertragen.

1459 begann Pius als Pontifex Maximus mit dem Ausbau seines Geburtsortes zu einer (winzigen) Stadt. Das von einem Florentiner Architekten verwirklichte Projekt kam den städtebaulichen Schönheits- Idealen der Renaissance sehr nahe. Schön der asymetrische Hauptplatz, elegant der Knick in der Hauptstrasse, dem Corso Il Rosselino, der verhindert, dass man von einem Stadttor zum andern hindurchblicken kann.

Mit einem Kilo Pecorino gings weiter nach Montepulciano.

Der Palazzo Tarugi und der Palazzo del Capitano del Popolo sind zwei von mehreren grossen und markanten Renaissancepalästen auf dem Hauptplatz, der Piazza Grande. Auch dieser Ort ist vornehmlich durch den Weinbau bekannt.

Kleines Mittagessen im „Le logge di vignola“.

Gut war das “Gran Fritto Toscano”: Gemüse in Tempurateig frittiert mit süss-saurer Dip-Sauce.

Die Pici mit schwarzem Knoblauch, Fonduta aus Schafskäse, Brösel, Thymian und Pfeffer, wurden etwas befremdlich aufgetragen: In einer Schweinsblase.

Viel Zeit blieb uns nicht mehr, uns in Montepulciano umzusehen. Blick ins alte Jugendstil Caffè Poliziano.

Hunde und eine Einladung zu einem Nachtessen warteten auf uns „zuhause“.

I-58100 Toskana (1)

Seit 3 Jahrzehnten wollte ich noch einmal in die Toskana reisen. Doch es kam, aus bekannten Gründen, nie mehr dazu. Bis sich uns Ende Oktober unerwartet, am Schluss der Quitten- und Nussernte, ein freies Zeitfenster von 2 Wochen öffnete. Frau H.: Wollen wir? Klar wollte ich. Mit 2 alten, blinden und tauben Hunden im Gepäck brachen wir kurzerhand auf. Dem aufkommenden Regenwetter zum Trotz. Der erste Kaffee in einem Autogrill liess alle Wetterprognosen vergessen. Wetter ist weder gut noch schlecht. Es ist einfach.

Der Hunde wegen plante ich einen Zwischenhalt in einem Gutshaus in der Emilia-Romagna, kurz vor Parma. Hier müssen wir nochmals hin. Parma besuchen. Unbedingt.

Die nahe gelegene Pizzeria wirkte wenig einladend, so fuhren wir ein paar Kilometer nach Castell’Arquato. Eine kleine Gemeinde in der Emilia-Romagna mit einem mittelalterlichen Kern. Bekannt durch das Schloss, das 1416 bis 1470 durch die Familie Visconti genutzt wurde. Bekannt? wir kannten es überhaupt nicht. Später gelangte das Kastell in den Besitz der Mailänder Sforza. Mit dem Einmarsch der Franzosen in Italien im Jahr 1499 kam Castell’Arquato unter deren Herrschaft und wurde zunächst von Grossmarschall Pierre de Rohan verwaltet. Nach dem Ende der französischen Herrschaft wurde das Dorf Teil des Kirchenstaates und ging 1512 wieder an die Sforza über. Die Macht der Sforza-Dynastie endete erst 1707, als das Gebiet von Arquato Teil des Herzogtums Parma und Piacenza wurde, dessen Geschichte bis zur Einigung Italiens andauerte.

Im Verlauf des steilen Aufstiegs war es dunkel geworden. Das wenige, das wir noch sehen konnten, versprach viel. Bis zum Kastell schafften wir es nicht mehr. Dunkelheit, Hunger und fehlende Ortskenntnis waren stärker.

Nach Prüfung der ausgehängten Speisekarten entschieden wir uns für das Ristorante del Volpone, sicher das beste Haus am Ort. Im Bild zu sehen sind hinten: Cestinetto di pasta brisé, julienne di verdurine e fonduta di fontina (ein Teigkörbchen mit Gemüsejulienne und Fonduta), im Vordergrund: Ravioli ripieni di patate (klingt und schmeckt einfach besser als Kartoffelravioli). Danach folgte als zweites primo Pisarei e fasö (Bohnen und Pasta), zu einem köstlichen Carmignano. Für mich gabs noch Guancialini di maiale brasati (geschmorte Schweinsbäggli).

Anderntags eine Regenfahrt über La Spezia bis Lucca, noch so eine alte Liebe. Die Altstadt liegt innerhalb eines Stadtmauerrings aus dem 17. Jahrhundert. Der grösste Platz misst über über 3000 m² und ist in Ellipsenform, denn die Randbebauung ist auf den Grundmauern eines römischen Amphitheaters erstellt.

Im Vorübergehen nickten wir Giacomo Puccini freundlich zu. Danke für die Mimi und die Floria Tosca, für die Lauretta und die Manon. Zudem durfte ich feststellen, dass es das Buca di Sant’Antonio immer noch gibt wobei wir schlussendlich mangels Hunger in einer Touristenklitsche ein schnelles Sandwich assen.

Bei der Weiterfahrt in die Maremma nahm sich Frau H. den italienischen Autorennfahrer Alberto Ascari zum Vorbild. So langten wir bald in unserem Agriturismohaus in der Maremma an, auf dem Areal eines Landgutes mitten in einem (noch genutzten) Korkeichenwald gelegen. Die Hunde freuten sich aufs Essen.

Frau H. freute sich an den efeublättrigen Alpenveilchen (Cyclamen hederifolium), die im lichten Eichenwald noch blühten.

Und ich freute mich auf den Einblick in das Laboratorio der Hausherrin Diletta (nicht im Bild), die hier die Gemüse und Früchte ihres Gartens in einer modernen, perfekt eingerichteten Kleinst-Manufaktur in Gläser abfüllt bzw. abfüllen lässt und nebenbei noch Pasta herstellt, die sie lokal an Freunde und Bekannte verkauft.

Mit den von ihr erhaltenen Pasta und Tomaten war unsere erste Mahlzeit vorbestimmt: Fettucine alla crudaiola. Nudeln mit nur kurz erwärmten, rohen Tomaten und Basilikum.

Nachts verzog sich der Regen. Der erste Besuch galt Castiglione della Pescaia. Der Markt war enttäuschend, mehr Lumpen als Gemüse und Obst, das alte Städtchen ist hingegen hübsch.

Gleich neben dem Ort, Richtung Grosseto, wanderten wir durch das Naturschutzgebiet Diaccia Botrona mit seinen beeindruckenden Schirmpinien.

Und da wir schon mal da waren, schlichen wir uns durch die Büsche an den Strand zum Barfusslaufen.

Für das Mittagessen fuhren wir in die Berge: nach Roccatederighi in die einfache Locanda Da Nada. Sehr gute acciughe sotto pesto (Sardellen mit Petersilienpesto), Tortelli alla maremmana (grosse Tortelloni mit Ricotta und Spinat gefüllt). Im Hauptgang statt Fleisch die patate della nonna: dicke knusprige Kartoffelchips. Eine Reise wert.

Im Headerbild sind übrigens Schweine der seit über 1000 Jahren in der Toskana gezüchteten Rasse Cinta Senese zu sehen. Daraus wird toskanischer Schinken hergestellt.

A-1000 Wien: Donau, Ziesel, Zilk, Ernst&Friederike

Mit dem Eintreffen der Reisegruppe begann der „wissenschaftliche und literarische“ Teil der Reise. Btw: Für ReiseberichtLeseunlustige sei der eben publizierte September-event von 6plus6 mit einem vegetarischen Karottengericht empfohlen: lucasrosenblatt.net

Im Wiener Becken, wo die Donau aus den Voralpen in die Ebene fliesst, wo die mitteleuropäische Waldnatur auf die Steppenlandschaft Pannoniens trifft, kreuzen sich nicht nur Flora, Fauna und Klima, sondern auch die Kulturen Mitteleuropas und der Alpen mit jenen der Tiefländer Osteuropas. Die Donau ist das verbindene Element. Das Wiener Becken ist ein tektonisches Einbruchsbecken, das mit Sedimenten aus dem Alpenraum gefüllt ist. Entstanden etwa vor 17 Millionen Jahren. Es liegt im Nahtbereich zwischen Alpen, Karpaten und der Pannonischen Tiefebene. Topographisch trennt das Becken die Alpen von den Westkarpaten, geologisch sind die beiden Gebirge jedoch durch die Gesteine im Untergrund verbunden.

Freiluftkolleg im Schatten von Flaumeichen am Bisamberg

Die erste Wanderung führte uns auf die alten Schanzen bei Stammersdorf am Bisamberg. Die rund 31 Schanzen um Wien wurden im Zuge des Preussisch-Österreichischen Krieges 1866 angelegt. Damit hätte das vorrückende Preussische Heer aufgehalten werden sollen. Dazu kam es nicht mehr, das Friedensabkommen nach der Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 machte die Anlagen überflüssig.

Im Ersten Weltkrieg wurden einige Schanzen im Bereich des Bisamberges -notdürftig- instandgesetzt. Sie sollten zur Verteidigung Wiens gegen vorrückende Truppen des zaristischen Russland dienen, doch fanden sie wiederum keine Verwendung. Im Zweiten Weltkrieg waren auf einigen Schanzen am Bisamberg FLAK-Geschütze der Wehrmacht stationiert. Die Niederlage konnten sie nicht aufhalten.

Von den Schanzen sind heute nur noch Rudimente vorhanden. Sie sind heute Brachen oder Biotop-Räume und durch Vegetation überwachsen.  Der trockene Landstrich entstand während der Eiszeit durch Kies-Ablagerungen der Donau und wurde später mit Flugsand (Löss) überdeckt Hier lebt (noch) eine grössere Kolonie des westeuropäischen Ziesels.

Foto: Jan Svetlík – https://www.flickr.com/photos/svetlik/4499922074/sizes/o/in/photostream/

Der Ziesel (Spermophilus citellus), ist ein bodenbewohnendes, Erdhörnchen, das meist Steppengebiete und Graslandschaften besiedelt. Es ist ein eichhörnchengrosses Nagetier und kommt in den Steppen Südosteuropas, in Österreich, in Teilen des Balkans sowie in der Türkei vor.

Das kleine, scheue Erdhörnchen blickt in Österreich ungewissen Zeiten entgegen. Immer weniger Lebensraum, viele Feinde und Gefahren: Mensch und Greifvögel.  Gesehen haben wir 3 Exemplare aus Distanz in einem Rebberg, wo sie seitlich durch Reben geschützt die langen Rebzeilen im Blick haben. Bei Gefahr warnen sie sich durch Pfiffe und verschwinden sofort in ihren Erdlöchern. Sie gehen nun für ein halbes Jahr in den Winterschlaf und hatten kein Interesse daran, von uns gestreichelt zu werden.

Daneben war auch Blümeln im Programm, natürlich wäre Frühjahr dazu die schönere Jahreszeit, für ein verspätetes Exemplar des entflammbaren Weissen Diptam (Dictamnus albus) hats doch noch gereicht.

Tags darauf bewegten wir uns auf literarischen Pfaden durch die Stadt. Am Schwarzenbergplatz eine kurze Übersicht auf die Wiener Gegenwartsliteratur. Einer der Reiseteilehmer, der seit Jahrzehnten in der Schweiz lebende Berliner Schauspieler Klaus Henner Russius, rezitierte Lautgedichte von Ernst Jandl und Werke von Friederike Mayröcker.

Des weiteren erwanderten wir das hübsche Margarethenviertel. Kleinstädtischer als das Zentrum, doch lebenswerter.

Auf einen Sprung in das  neue Sonnwendviertel im Bezirksteil Favoriten auf dem ehemaligen Gelände des Frachtenbahnhofs (Südbahnhof) Wien. Auf einer etwa 34 Hektar umfassenden Fläche wurden etwa 5000 Wohnungen für rund 13000 Menschen erbaut. Bauträger waren sowohl staatlich geförderte Genossenschaften wie frei finanzierter, privater Wohnbau. Grünes Zentrum des Viertels ist der sieben Hektar große Helmut-Zilk-Park, benannt nach einem früheren Bürgermeister (ja, der mit der Soubrette Dagmar Koller) der 2016 eröffnet wurde. 

Obwohl die Wiener Stadtplanung für die Planung ein eigenes Stadtteilmanagement-Team einsetzte, das die Akzeptanz des Projekts bei der Bevölkerung sichern sollte, sind einige der Wohnblöcke -nach dem Urteil unserer Wandergruppe- nur teilweise gelungen, auch bei der Gestaltung des Parks wurden vom (Schweizer Gartenplaner, dem Gewinner der Ausschreibung) unverständliche Grünflächen gestaltet. Aber unsere Wandergruppe wurde ja nicht gefragt 😉

Abends stand ein Spaziergang durch das Servitenviertel auf dem Programm. Durch das „Grätzel“ führte uns der deutsch-bulgarische Schriftsteller, Übersetzer und Verleger Ilija Trojanow. Im Gegensatz zum einfachen Margarethenviertel wohnte hier das Grossbürgertum. Hier lebten u.a. der Atomphysiker Ludwig Boltzmann, Siegmund Freud, Theodor Herzl, Ferdinand Porsche, Felix Salten, der Physiker Felix Schrödinger, der Schriftsteller Friedrich Torberg (die Tante Jolesch). Der Anschluss an das Deutsche Reich war das Ende für die jüdischen Einwohner. Ein Wasserbecken mit Namensschildern und einige Trittsteine erinnern daran.

Ilija Troanow in der Mitte (hinter Frau H.) stehend.

Im Servitenviertel steht auch das Gartenpalais [korr] des Fürsten von Liechtenstein. Ein imposanter Barockbau.

Der Abend dämmerte schon, als uns Ilija Trojanow zur Strudelhofstiege führte, ein Treppenbrunnen aus dem Jahre 1910 im Jugendstil. Gleichzeitig ist sie Namensgeberin des 1951 erschienenen Romans des österreichischen Schriftstellers Heimito von Doderer.

Dann wurde es zu dunkel für mein Handy und das Nachtessen wartete.

Neuer Tag, neue Wanderung. Diesmal in den Nationalpark Donau-Auen. Ein 9600 ha großer Nationalpark, der sich von Wien bis zur Mündung der March in Niederösterreich an der Staatsgrenze zur Slowakei erstreckt. Er ist eine der größten weitgehend intakten Aulandschaften Mitteleuropas entlang der Donau. Das Gebiet hat eine Länge von 38 Kilometern, misst an seiner breitesten Stelle kaum vier Kilometer.

Das Bild könnte von Claude Monet sein. Nur die japanische Brücke fehlt.

Seit dem Entstehen der Donau nach der Auffaltung der Alpen und Sedimentation der Pannonischen Tiefebene veränderte sich der Lauf der Donau bis ins 19. Jahrhundert immer wieder. Die Regulierung der Donau wurde im 15. Jahrhundert begonnen und ab dem 19. Jahrhundert systematisch durchgeführt. 

Immer diese Prüfungen! Suche den auf dem Zettel genannten Baum/Busch und belege ihn mit einem Blatt. Immerhin winkt dem Sieger bei gewissen Prüfungen eine Mozartkugel.

Berberitze (Berberis vulgaris)

Wien?? Jederzeit gerne wieder!

A-1000 Wien: Schnitzel, Steirereck, Himmelsnah und Donizetti

Die kurze Gruppenreise nach Wien führte uns zu den Themen Geologie, Botanik, Biodiversität und Gegenwarts-Literatur. Nebenberuflich organisiert durch eine kleine Gruppe von Profi-Botanikern Botanik-Reisen. Wir hängten noch 2 Tage vornedran und erweiterten den Themenstrauss um Kulinarik und Operistik, sprich einem Besuch in der Staatsoper.

Jenen, die meine Reiseberichte nicht interessieren, sei der eben publizierte Juli-Vegi-event von 6plus6 empfohlen: lucasrosenblatt.net

Zum Einstimmen erst ein langer Brauner in einem traditionellen Kaffeehaus:

Hungrig und mit schwerem Herzen vorbei an der Heimat des Schnitzels zum Steirereck.

Das Steirereck liegt an keiner Ecke, sondern mitten im grünen Stadtpark. Alles modern und sehr chic eingerichtet. Freundliche und kompetente Bedienung. Umwerfend die Brotauswahl, mein Favorit, das Krustenbrot, von dem allein wir uns zu Mittag hätten ernähren können.

Insgesamt sechs elaborierte, hochkomplexe Gerichte. Durch die bei jedem Gang existierende „oder“-Option konnten wir uns fleischlos durch das ganze Menu bewegen. Hier nur ein Beispiel mit dem Titel:

Allium: Lauchgewächse mit Marille, Steinpilz & Heu.

Eine auf Salz gebackene, mit Marille und Distelöl marinierte, weisse Zwiebel. Darauf Steinpilz-Marillen-Lauch-Gemüse mit eingelegten Gurken und Schönbrunner Zitrone. Die 3 Zwiebelschalen liegen auf Scheiben von gedämpftem Serviettenknödel, dazu eine weisse Zwiebelcreme und als Saucenspiegel eine Beurre Blanc aus fermentierten Heu-Kräutern. Das soll mal einer Nachkochen!

Die Komplexität der Gerichte spiegelt sich in jedem Gang wieder. Ein toller Einstand. Der letzte Gang in den washroom im Untergeschoss setzt voraus, mit der Weinbegleitung Mass gehalten zu haben:

Abends Besuch in der Staatsoper, Donizettis Don Pasquale in einer burlesken Inszenierung: ein richtig lustiger Anlass. Vorzüglich die kleinen Pausen-Canapées des k.u.k Hofzuckerbäckers Gerstner, die wir ohne Anstehen an einem reservierten Tischchen sitzend geniessen durften.

Anderntags Besichtigungstour in der Innenstadt: Marsmenschen allüberall. Sie stehen am Tatort der Geschichte. Blind für die Stadt und ihre Bauwerke. Und schauen sich Geschichte in Form animierten 3D-Filmchen durch ihre elektronischen Brillen an. Virtual Reality? Fake Reality! Hätten sie sich auch zuhause auf dem Kanapee angucken können.

Das nicht durch virtuelle Sehhilfen verstellte Auge bietet doch jede Menge an Schönheiten, wie hier die weiblichen Karyatiden, die auf ihren Häuptern schwere Architrave tragen oder…

… junge Männer, die jedoch nur leichte Wasserschalen zu tragen haben, wie hier beim Parlamentsgebäude.

Mit der Strassenbahn fuhren wir um den Ring: Sightseeing by Strassenbahn u.a. die von Grün überwucherten Hundertwasserhäuser.

oder wurden an der Hand einer freundlichen Frau mit grünem Herz bei Fussgängerstreifen hilfreich über die Strasse geführt.

Nach einem heissen Stadttag winkte uns zum Abendessen an der Himmelpfortgasse im TIAN (chinesisch für „Himmel“) reine, vegetarische Küche, von Paul Ivićs gekonnt inszeniert:

Nach dem hübschen Amuse in Form einer gestickten bzw. gebackenen Sonnenblume:

Acht (mit den separat servierten Versionen zehn Gänge. Hier als Beispiel: verschiedenartig fermentierte Gurkenkugeln (u.a. Dill, Limonenzeste) auf einem Ring von aromatisiertem Kefir und einem Spiegel von Gurkenessenz serviert: Klasse.

Lag es da nicht nahe, diese zwei farbenfrohen Tage mit einem Schlummertrunk ausklingen zu lassen?

Teil 2 folgt später: A-1000 Wien: Donau, Ziesel, Zilk, Ernst&Friederike

Blumenwandern in den Bergamasker Alpen

Erfrischung: das was viele im Sommer am Mittelmeer (vergeblich) zu finden hoffen, fanden wir in den Bergamasker Alpen: viel Frische,  Regen und Sonne, keine Touristen. In normalen Jahren sind auch hier die Alpweiden im Juli gelb verbrannt, heuer war noch alles grün im Saft. Ideales Wanderwetter. Ausgangsort war das kleine Städtchen Serina auf 820 m Höhe im Val Serina, etwa 30 km nördlich von Bergamo entfernt. Weiter nördlich liegen die orobischen Alpen und das Veltlin. Die  westlich gelegenen Nachbartäler sind bekannter, wie das Val Brembana mit dem Ort San Pellegrino Terme, bekannt durch sein Mineralwasser  oder dem Val Taleggio, Heimat verschiedener Bergkäse.

Serina -mit der schönen Hopfenbuche im Vordergrund- ist vom Monte Zucchino (1206m) aufgenommen, den wir nach einem kräftigen Morgengewitter mittags doch noch erwandern konnten.

Serina ist der kleine Hauptort des abgeschiedenen Tales, ein kleines Bergdorf, rund 2000 EW, wenig Tourismus, Sommerfrische für hitzegeplagte Städter der Lombardei.

an der Rathausfassade eine verwitterte signierte Parole von Benito Mussolini (die notabene auch vom italienischen Kommunistenführer Palmiro Togliatti stammen könnte).

Allüberall Hinweise, Denkmäler,  Kunstdrucke oder dilettantisch kopierte Wandmalereien der aus Serina stammenden, im Bergdorf verehrten Malerdynastie der Negretti, detto Palma, Onkel und Neffe, Renaissance, venezianische Schule, Zeitgenossen von Tizian und Tintoretto. Die holzgerahmte Wandschönheit „Violante“ -mit dem Veilchen im Ausschnitt- ist jedoch, sorry,  Tizian zugeschrieben und das Original in Wien zu besichtigen.

Doch was schweife ich ab zu Kunst und Geschichte, wo doch Blumenwandern das Thema ist: Blümeln und Fotografieren.

Kleine Telekie, Xerolekia speciosissima, in ihrem satten Gelb

Höher hinaus ging es in der dritten Wanderung: zur Bergflanke des Pizzo Arera, 2512 m. An diesem Wandertag kartierte einer unserer Reiseleiter, der Berner Botaniker Adrian Möhl, insgesamt über 200 verschiedene Arten.  Zweites Highlight des Tages (für mich) war der morgendliche Kauf der Sandwiches im Dorfladen, Brot und Füllung nach Wahl, alles frisch zusammengestellt: im Dorf produzierter Stracchinokäse, so ganz anders als der bei uns käufliche, in Plastik verpackte Industriekäse, zartester Rohschinken, mit einer handbetriebenen Berkel dünn geschnitten.

Im Aufstieg u.a. erst Kugelginster und Bergkiefern

Schwärzliches Knabenkraut, Orchis ustulata

Alpen-Bergscharte, Stemmacantha rapontica

Sterndolden, Astrantia major

Rote Kugelorchis, Traunsteinera globosa

Aufsteigendes Läusekraut, Pedicularis ascendens

Narzissen-Windröschen, Anemone narcissiflora

In der Blumenschwemme kann das Alpen-Edelweiss, Leontopodium nivale leicht übersehen werden

Zottiges Habichtskraut, Hieracium villosum

Der „Sentiero dei Fiori“ ist ein schmaler Pfad entlang der Südflanke des Pizzo Arera, der dem Besucher im Frühling wie im Sommer einige endemische (teils seltene) Blumen bietet. Das hat auch damit zu tun, dass die Gletscher der Bernina und des Ortlers die Sperre der orobischen Alpen nie überwinden konnten. Durch die hier nur geringe Vereisung während der Kaltzeiten konnten viele Arten hier die höchsten Eisstände überdauern. Die tiefen Täler der Bergamasker Alpen sind nicht durch Gletscher, sondern fluvial entstanden.

Kahler Alpendost, Adenostyles alpina, noch nicht voll erblüht

Insubrischer Lauch, Allium insubricum, Blüte noch verschlossen

Bergamasker Leinkraut, Linaria tonzigii

Um die Grössenverhältnisse klarzustellen 😉

Insubrische Glockenblume, Campanula raineri

Es gibt kein schöneres Geschenk an uns selbst, als sich eine Auszeit zu nehmen, sich von der hektischen Routine zu lösen, um sich als Teil einer Welt zu fühlen, die es zu entdecken gilt. Entdecken bedeutet, eine respektvolle und neugierige Haltung gegenüber dem einzunehmen, was wir besuchen und was durch unseren Blick zu einer Erinnerung und damit zu einem Teil von uns wird.

Dass meine Auszeit länger dauerte, als gedacht, ist einer Unpässlichkeit meines Knochengestells zuzuschreiben.

Gargano (5) Vieste, Baia di Trabucchi

Wer sich hier lieber Essbares anschaut, kann sich auf meiner Zweitseite, [kein] Kochbuch, die ich für Lucas Rosenblatt betreue, delektieren. Der neue Eventbericht samt Rezept von Ende Mai sind online.

Hotelwechsel, vom Bergdorf ans Meer. Wetter bewölkt. Entlang der Litoranea nach Vieste. Fotohalt beim berühmten Foto Hotspot Architello del Gargano:

Und schliesslich für 3 Übernachtungen in die lebendige Kleinstadt Vieste mit rund 14’000 EW. Das Städtchen, das auf einem felsigen Vorgebirge am äußersten Ostrand des Gargano gelegen ist, besteht aus einem auf der Felsspitze San Francesco (Teilansicht im Headerbild) gelegenen mittelalterlichen Ortskern und einem modernen Teil, der hinter den beiden grossen Sandstränden der Stadt auswuchert.

Gleich Eingangs der über dem Meer thronenden Stadt am südlichen Sandstrand der Pizzomugno, ein erratischer, natürlicher Riesenblock, der die Versteinerung eines von den Sirenen übertölpelten Liebhabers darstellen soll.

Die historische Altstadt, mit ihren weiß schimmernden Häusern und einem Labyrinth aus engen Treppen und Gassen, ist auf dem Felsvorsprung aus zerklüftetem Kalkstein gelegen.

Im 16. und 17. Jahrhundert war Vieste immer wieder Angriffsziel osmanischer Seeräuber. Festungsanlagen und deren Ruinen, durch die sich die damaligen Bewohner zu schützen suchten, erinnern an diese dunklen Zeiten. 1554 wurden 7000 Einwohner verschleppt und Hunderte auf einem Felsblock, die Chianca Amara, enthauptet.

Anderntags folgte ein Fussmarsch der Costa dei Trabucchi entlang. Start der Wanderung war der Wachtturm Cala del turco.

Die lange Adriaküste war jahrhundertelang Angriffen von Osten ausgesetzt (der Feind kommt für uns Westler immer von Osten). Im 16. Jahrhundert befahl Kaiser Karl V. den Bau eines Wachtturm-Systems an der gesamten Länge der apulischen Küste, um die Bewohner vor Invasionen zu schützen. Erbaut wurden sie an strategisch wichtigen Positionen an der Küste, nahe beieinander, damit jeder Turm mit seinen Nachbartürmen kommunizieren konnte. Der Eingang lag im Obergeschoss. Zum Betreten und Verlassen des Turms wurde eine Leiter von innen herabgelassen. Die Nachrichtenübermittlung erfolgte mit Rauchzeichen oder einem Reiter.

Wo im Sommer Liegestuhl an Liegestuhl liegt: Spiaggia di Gusmay

Zwischendurch immer mal wieder ein Trabuccho, eine Art Fischergalgen. An dieser Küste weht immer eine kräftige Brise, die den Fischfang mit Booten erschwert. Mit dieser Konstruktion kann ein großes rechteckiges Netz gleichmäßig horizontal auf den Meeresgrund abgesenkt und nach einiger Zeit wieder heraufgezogen werden.

Die Trabucchi wurden seit dem Mittelalter an Stellen errichtet, an denen Fischschwärme vorbeiziehen. Als Baumaterial diente widerstandsfähiges Holz von Edelkastanien und Robinien. Alle beweglichen Elemente sind ursprünglich mittels Schnüren verbunden. Das Netz wird mit Hilfe eines Drehkreuzes abgesenkt bzw. hochgezogen.

Da der Unterhalt dieser privaten Galgen teuer ist, sind die meisten der Trabucchi dem Verfall preisgegeben. Wenige (grössere) wurden als Wochenendhaus oder als Fischrestaurants umfunktioniert. Handwerker, die sich auf den Bau dieser Kontruktion verstehen, gibt es keine mehr.

Nach einem Strandpicknick erwartete uns das Tagesziel: Das kleine Fischerstädtchen Peschici. Hier finden sich keine besonders beeindruckenden oder historischen Sehenswürdigkeiten, dafür die italienische Lebensfreude. Kein Wunder, denn 1998 gewann eine Tippgemeinschaft von 99 Spielern im Lotto die Rekordsumme von 32 Millionen Euro.

Auch wenn durch 99 geteilt werden musste, lag ein ultramariner Kleinwagen im Budget.

Wo soviel Glück zuhause ist, lässt es sich auch als Vogel gut leben.

Von Vieste aus bewanderten wir anderntags im Hinterland des Gargano den Foresta umbra: ein alter, riesiger Wald auf rund 15’000 Hektar Land reich an Fauna und Flora. Sein Name leitet sich von der dichten, schattigen (ombrosa) Vegetation ab. Seit 2017 zählt er zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Im besonderen, gemässigten Klima dieses Waldes gedeihen viele Laubbäume, erstaunlicherweise vor allem Buchen, Hainbuchen, diverse Eichen, Ahorn, Eiben. Ein kühler, „nordischer“ Wald in wenigen Kilometern Küstennähe. Dass dieser Wald noch heute existiert, ist wohl seiner abgelegen Lage zu verdanken.

Am letzten Tag unserer Wanderreise besuchten wir nach einem steilen Aufstieg von Mattinata aus die protohistorische Nekropole auf dem Monte Saraceno.

An einem der schönsten Küstenabschnitte der Region befinden sich hier mehr als 500 in den Felsen gehauene Gräber. Hier siedelten ungefähr 1000 Jahre v. Chr. -also lange vor den Römern- die Daunier, ein Volk das aus Illyrien stammte. Das friedliche Volk lebte vorwiegend von der Landwirtschaft, Fischen und Viehzucht und pflegte die Bestattungssitten der Eurasier: Die Gräber waren früher mit Steinplatten belegt, mit erhöhtem Rand, um das Eindringen von Wasser zu verhindern.

In den Grabgruben wurden die Toten in zusammengekauerter Hockerstellung beigesetzt. Pro Grab erfolgten meist mehrere Nachbestattungen. Jahrhunderte später wurden die Gräber als Pflanzgruben für Bäume benutzt, deshalb haben sich Bestattungen und Beigaben nur selten erhalten. Die erhaltenen Funde sind im Museum von Mattinata ausgestellt.

Botschafter ins Jenseits: Der Feigenbaum

Ende der Serie.

Gargano (4) Monte Sacro

Eine beliebte Orchideen-Wanderung Nähe Mattinata führt hoch zu den Ruinen der antiken Abtei SS. Trinità auf den 874 Meter hohen Monte Sacro, den „heiligen Berg“.

Auf dem Weg nach oben findet man unzählige, wild wachsende Orchideen und andere Blumen. Dabei muss man aufpassen, sie nicht zu zertreten; ein Eldorado für Blumen- und Orchideenliebhaber! Von den weltweit insgesamt 200 wilden Orchideenarten sind hier rund 60 beheimatet. Leider hat der tags zuvor gefallene Schnee manche plattgedrückt. Ferner sorgen Ziegen und Kühe für den naturnahen, aber rücksichtslosen Rückschnitt. Nur die ausdauernde, langlebige Felssteppenpflanze Affodil, Asphodelus albus, lassen sie stehen und die überwuchert nun das ganze Gebiet.

Mir sind nur zwei Aufnahmen unverwackelt geblieben: Iris bicapitata

und Anemone hortensis. Starke und kalte Bora-Winde verwehten mir all meine Orchideen-Fotos. Ein gebratenes Schnitzel auf dem Teller lässt sich halt einfacher fotografieren.

Fest stehen hingegen die Ruinen der einstigen Benediktinerabtei SS Trinità di Monte Sacro, hoch oben auf dem Berg, nur über einen Trampelpfad erreichbar. Bis zum Ende des 4. Jahrhunderts war der Ort dem Jupiterkult geweiht, vermutlich wegen der hier häufig vorkommenden Eichen, dem Symbol des Königs der Olympier.

Im 5. Jahrhundert verdrängte der Kult des Erzengels Michael die bislang heidnische Verehrung des Ortes. Die Statue der heidnischen Gottheit wurde zerschlagen und der angrenzende Tempel der Heiligen Dreifaltigkeit geweiht.

Um das Jahr 1000 errichtete eine Gruppe von Mönchen aus dem mächtigen Santa Maria di Kalena nahe von Peschici auf dem Monte Sacro ein kleines, abgelegenes Kloster.

Die Abtei profitierte lange von den zahlreichen Pilgerfahrten zum heiligen Michele und nach Jerusalem, doch ab dem 15. Jahrhundert begann Monte Sacro zu verfallen. Ab Mitte des Jahrhunderts wurde die Abtei verpflichtet, ihre Einkünfte an die Lateran-Chorherren von Tremiti zu übertragen. Im Jahr 1482 wurde die Abtei mit der Abtei von Siponte zusammengelegt. Von da an wurde sie verlassen und verfiel vollends. Heute hat die Natur wieder Besitz von den Bauwerken ergriffen.

Trotz des Verfalls sind die Merkmale der kleinen Zitadelle, die nach dem benediktinischen Motto „ora et labora“ gegliedert war, noch immer in den Ruinen zu erkennen: Die Überreste der Vorratskammern, der Zisternen, der Küche und der Kultstätten wie das Baptisterium, der Kreuzgang, die Kirche und der Narthex – das Atrium vor der eigentlichen Kirche -. Rundbögen, die wiederum von Säulen getragen werden, die mit Kapitellen mit Akanthusblättern, Rosetten und anderen für die romanische Architektur des Gargano typischen Motiven verziert sind.

An diesem Ort machten wir Mittagsrast, unser Guide Mario (Supermario) segnete, wie immer, nicht nur auf heiligen Bergen, Brot und Tomaten.