I-23037 Tirano: geistige und weltliche Paläste

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Tirano Palazzo Salis

Tirano, einer der ältesten Ortschaften des Veltlins, liegt am Ausgang des Valposchiavo, unmittelbar an der Schweizer Grenze und bildet im Tal eine Art Grenze zwischen dem mittleren und oberen Veltlin. Die für mich schönste Anreise nach Tirano ist jene mit der Berninabahn von St. Moritz über den Berninapass (entlang des Lago bianco) in das 1800 m tiefer gelegene Städtchen. Aber nur wenn es nicht zuviele Touristen drin hat. Gebaut wurde die Bahntrassee 1907 bis 1910, die höchste Adhäsionsbahn der Alpen mit vielen Kurven und Gefällevernichtungs-Schleifen. Am Bau waren viele Italiener beschäftigt, deshalb wurde damals in Poschiavo eine Spaghettimanufaktur gegründet.

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Berninabahn am Lago di Poschiavo
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Madonna di Tirano

Wir sind mit heute mit dem Auto da und geniessen den ersten espresso am caffè Duomo bei der Wallfahrsbasilika Madonna di Tirano, einem mächtigen, zwischen Renaissance und Barock schwankenden Bauwerk. Erbaut an der Stelle, wo ein Bauer eine Marienerscheinung gesichtet haben soll. Die Bahn fährt am Talende des Valposchiavo hart an der Kaffebar vorbei und entlädt die Touristen weiter unten am Grenzbahnhof zu Hunderten in die Stadt. Die Allee bis zur Altstadt ennet dem Flüsschen Adda ist eine trostlose, endlose Champs Elysée: „Menu turistico“ in allen Preislagen. Zum Verhungern. Die Altstadt dagegen ist hübsch, mit einigen schönen Palazzi, der schönste davon der Palazzo Salis.

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Altstadt Richtung Piazza Cavour
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Palazzo Salis Blick in einen Cortile

Der Stammsitz der Familie Salis, ursprünglich aus der Lombardei stammend, befindet sich in Soglio. Einer der daraus hervorgegangenen Familienzweige siedelte sich in der Bündner Herrschaft in Zizers an. Giovanni Salis-Zizers wurde 1637 als Statthalter nach Tirano entsandt und beauftragte die Untertanen mit dem Bau eines standesgemässen Einfamilienhauses. Seit 1665 wird im Palast Wein produziert. Die Weine wurden auch am Hofe Leopolds I in Wien getrunken. Die letzte Nachfahrin der Solis verliess 1908 das Schloss Richtung Mailand, gab den Weinbau auf und sorgte für Blutauffrischung durch einen Vertreter minderen Adels aus der Familie Sertoli. Ein Urenkel begann 1987 erneut mit der Weinproduktion (aus zugekauften Trauben). Die Salis-Sertoli-Weine sind qualitativ ausgezeichnet. Aushängeschild ist der Corte della Meridiana, ein mit der Rinforzomethode verstärkter Wein, bei dem ein Teil der Trauben normal vergoren, der andere Teil getrocknet, separat vergoren und später dem normalen Wein zugesetzt wird. Der Palazzo kann nur auf Voranmeldung in Gruppen besichtigt werden. Die in einem kleinen Cortile zugängliche Weinbar serviert Antipasti, ist aber nur Samstags geöffnet. Kein Einlass. Der Hausdrachen wimmelt da unerbittlich ab. Auch der Hinweis auf meine blaublütige Abstammung (Edler von Hammerschlag), die sich an meinem blauen Ringfinger ganz deutlich beweist, konnte die Dame nicht erweichen. Also ab durch die Porta Poschiavina über die Adda und weiter. Den gesuchten Corte della Meridiana 2001 habe ich mir dann nachträglich im Handel verschafft.

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Blaublütig am Ringfinger
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Porta Poschiavina und Addabrücke

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11 Kommentare zu „I-23037 Tirano: geistige und weltliche Paläste“

  1. Ach, Italien, sieht man sofort, auch wenn’s an der Grenze ist…

    Nun auch Chef des FFV von Italien? Kann ich nur begrüssen, eigentlich müsste mal wieder Pasta auf den Tisch!!!!

  2. Danke an ihre Hoheit vom Hammerschlag 😉 – ich liebe diese Berichte – sie machen Lust auf Urlaub und sind immer sehr schön zu lesen.
    Liebe Grüße

  3. @Rosa: thanks for your compassion 🙂

    @Bolli: FFV ?? Chef des Frauenfussballvereins ?? Nein, ich versteh nicht von Fussball aber wenn mich ein FFV unbedingt als Cheftrainer haben will, werde ich eingehende Angebote prüfen, bitte mit Bild der ersten Mannschaft 🙂

    @Petra: die Blaublütigkeit ist langsam am Verschwinden.

  4. nach dem palazzo salis haben wir uns bei unserem besuch vor ein paar jahren krumm gesucht. nachdem’s dann (mit viel herumfragen) schließlich geklappt hat, wurde dort gerade umgebaut. zufällig wartete aber die dame des hauses vor der türe auf irgendwelche handwerker. nach heftigen überredungsversuchen unsererseits ließ sie sich herab und wir durften mit ihr immerhin bis in den verkaufsraum. das hat sich rentiert: noch lagern ein oder zwei fläschchen aus dem hause sertoli-salis in unserem keller. leider kein „grumello“ mehr – dieser etwas „hantige“ wein aus nebbiolotrauben schmeckt uns einfach grandios.

  5. Ich verneige mein Haupt vor der Blaublütigkeit und bin dankbar, dass ich einfache Person diese tollen Berichte lesen darf – DANKE!

  6. Wie immer ein toller Reisebericht. Ich bedaure es immer wieder, dass wir so weit im Norden leben. Ich vermisse die Nähe zu Italien, das ich so sehr liebe. Da ist es auch nicht immer ein Trost, dass wir stattdessen regelmäßig die holländische Nordseeküste aufsuchen, die nur 2,5 Std.entfernt ist.
    Beim nächsten Hammerschlag bitte mehr Sorgfalt walten lassen …

  7. @reibeisen: wenn man weiss wo er liegt, bietet er sogar einen Parkplatz für ein Auto im Schatten des Palastes. Sehr angenehm wenn man Wein einkauft. Das war ein paar Tage später… ich bin auch ganz begeistert von den Veltlinerweinen. Davon später.

    @Eva: 🙂 Dir ist es hoffentlich nicht ernst damit ?

    @dorodoro: schön ist es da, wo man zuhause ist. Ich war zwar noch nie im Norden, bin mir aber sicher, dass es mir da auch gefallen würde.

  8. Hatte beim „Letzten Wundmal“ auch gehofft, dass der Kelch an mir vorbeigeht. Na, wenigstens kann ich Deine schönen Berichte noch genießen …

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