
Ein leichter Hauch wehte mir über die linke Schulter, doch hinter mir stand niemand. Von einem Erkerfenster herunter winkte mir ein freundlicher, bleicher Herr zu….

was bleicher Herr !!! Der Knochenmann !!! Sollte sein Gruss mir gegolten haben ??? In meiner Verstörung vergass ich nachzusehen, ob der Herr eventuell Teil des Inventars einer Osteopathiepraxis sein könnte. Nach einigen Schritten durch die Altstadt war meine Fassung teilweise wieder hergestellt und ein leichtes Mittagessen angesagt. Das eine Lokal am Rhein war rammelvoll, ein Pizzeria mit Garten zu stark besonnt, beim dritten gefiel uns das Angebot nicht: Strauss an Mangosauce. Wenn es schon das letzte Mahl sein soll, dann bitte etwas Gepflegteres als gerade Pizza oder Vogel Strauss. Also rein zu André Jäger in die Fischerstube (19 Gault-Millau-Punkte seit 1995). Obwohl wir uns geschworen haben, hier nie wieder einzukehren. Lokal und Garten heute (wie oft) halbleer. 4 Kellner, 8 Gäste. Dennoch war es ein angenehmer, etwas teurer Mittag, sehr freundliche (deutsche) Bedienung. Kunstvoll hergerichtetes, gutes Essen. Ich frage mich aber doch, nach welchen Kriterien die GM-Kritiker ihre Punkte verteilen.

Aber wir haben uns in den letzten Jahren stark verändert, können mit all den modernen, artistischen Variationen und Verrenkungen von, an, zu und auf… nur mehr wenig anfangen. André Jäger ist in den den Jahren vor der Jahrhundertwende durch seine damals revolutionären, fernöstlich-europäisch inspririerten Kreationen bekannt geworden. Das ist nicht mehr unsre Welt.

Nach dem Essen der Besuch im ehemaligen Kloster Allerheiligen. Während Frau L. sich im Klostergarten bzw. dem Museumscafe ausruhte, ging ich mir die Sonderausstellung zum 600-Jahr Jubiläum der Schaffhauser Zunftverfassung ansehen.

In der Mitte des 14. Jahrhunderts begann sich die Zunftherrschaft in den grösseren Städten, namentlich in Zürich, Bern und Basel zu etablieren. Schaffhausen erhielt das Recht von Herzog Friedrich von Oesterreich erst 1411 zugestanden. Was heisst erhielt ? Gegen die Bezahlung von 3000 Gulden. Sogar die Quittung ist noch vorhanden. Die kostete nochmals extra.

Nachdem sich der Schaffhauser Adel auf Seiten der Habsburger in den Schlachten gegen die Eidgenossen (Sempach und Näfels) ausgeblutet hatte, war er nicht mehr in der Lage, alle Ämter, die eine mittelalterliche Stadt anzubieten hatte, zu besetzen. Wohlhabende Handwerker sprangen in die Lücke, indem sie sich in 10 Zünften organisierten und sich somit die Mitentscheidung an den Geschicken der Stadt sicherten.

Zunftherrschaft war aber noch lange keine Demokratie. Reich gewordene Kaufleute bildeten zusammen mit dem Adel eine allmächtige Oberschicht, welche die einträglichen Ämter unter sich aufteilten. Wer nicht dazugehörte: Zugezogene (Hintersassen), Ausübende unehrenhaft geltender Berufe, Knechte, Bauern und Leibeigene waren und blieben ausgeschlossen. Wer reich war, versuchte seinen Lebensstil demjenigen des Adels anzupassen. 1798 wurde das Ancien Régime aufgelöst, die Gewerbefreiheit eingeführt. Damit verloren die Zünfte ihre Bedeutung.
Ausserhalb der Sonderausstellung zeigt das Museum einen kulturgeschichtlichen Überblick auf Tausend Jahre Stadtgeschichte. Lohnenswert.

Da habe ich mich verweilt und darob beinahe die Gattin vergessen, die sich inzwischen in den sehenswerten Kräutergarten zu Schillers Glocke gesetzt hatte. Die 4,5 Tonnen schwere Schillerglocke wurde 1486 in Basel gegossen und läutete bis 1895 als grösste Glocke des Münsters zu Allerheiligen. Friedrich Schiller verwendete ihre Inschrift, Vivos voco. Mortuos plango. Fulgura frango, als Motto für sein Gedicht „Das Lied der Glocke“.
„Ach! Die Gattin ist’s, die theure“, begrüsse ich sie freudig.
Aha, der Herr L. auch noch da, „Er zählt die Häupter seiner Lieben“ antwortet sie mir,
doch sage ich Dir: „Der Wahn ist kurz, die Reu‘ ist lang“.

So schlimm wars dann aber doch nicht, Glockengeläute vertreibt nach einem alten Volksglauben Blitze. Sogar Blitze jeglicher Art.

Nun hatte ich kurzfristig die Befürchtung, dass es hier nicht mehr weiter geht, weil der von uns allen so ungeliebte „schwarze Fürst der Schatten“ sein Unwesen treibt. Dass dir das Zusammentreffen mit dem unheimlichen Gesellen nicht den Appetit verhagelt hat, lässt mich darauf schließen, dass du dich nicht wirklich angesprochen fühltest. Das wiederum lässt mich erleichtert aufseufzend zum Kaffee greifen. Ob der mit der Gattin ausgetragene Schlagabtausch eher unter dem Aspekt „Wehe, wenn sie los gelassen“ oder „Holder Friede, süße Eintracht“ zu betrachten ist, darüber muss ich noch eine Weile nachdenken.
Jäääääh … So ne „Iiberaschig“ losst eim Griible. He nu, du/dir sehnt das absolut richtig und gniesset jede einzelne Daag uf‘ s Neye.
Do i au scho ne Mol s‘ Vergniege gha ha im besagte Edelwiirtshuus z‘ Tafle, kann‘ i mi dine Bemèrgige aaschliesse. Mir het’s schlicht ewäg z‘ viel Firlefanz und Bliemli gha. S‘ Botene isch zwar vom Feinschte gsi, aber i bi mit (no) Hunger gange.
Fascht vergässe. Dr Bricht und d‘ Helge sin wieder hochinteressant und glunge. Chapeau !
Thanks for the fabulous visit! I always enjoy your Sunday posts.
Grüsse,
Rosa
Heute wäre das nur mehr umgekehrt möglich, da würde die Wirtschaft ihre politischen Angestellten zahlen lassen für das Privileg, ihnen die Macht übereignen zu dürfen.
Vielen Dank für die Anregung. Schaffhausen ist ja nur eine Stunde weg und trotzdem habe ich es noch nicht geschafft einen Ausflug dorthin zu machen. Aber nach diesem Bericht bin ich voll motiviert! 🙂
@Jutta: bei Schlagabtauschen mit Zitaten verliere ich regelmässig. Mein Gedächtnis war schon immer löchrig.
@Basler Dybli: die Teller sind immer noch mit Rosenblüten unterlegt, was bei einem Teller geschmacklosem Lollosalat etwas komisch wirkt.
@Rosa May: thanks, your thursday is my sunday 🙂
@bee: irgendeiner hält immer die Hand hin.
@Airportibo: bei uns sind es zwei Stunden.
Genau das mein‘ i ! Hesch dr Nagel zmitts uf dr Kopf troffe 🙂
Im Sinne von Schillers Glocke …
„Daß sich Herz und Auge weide
An dem wohlgelungnen Bild.“
… ein schöner Bericht.
Ich freue mich immer auf Eure Sonntags-Ausflüge, die eigentlich gar keine Sonntagsausflüge sind, oder?
Wenn wir schon schillern, mir ist es mehr nach
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß..
ich mußte ja bei 35ºC im Schatten unbedingt einen Sardinenkuchen backen;-)
Dein schöner Bericht macht mir Lust, endlich wieder Basel und Schaffhausen zu besuchen.
Da war ich schon sieben Jahre nicht mehr
Gruß
Margit Kunzke
Loch in Boden,
Bronze rin,
Glocke ferig,
Bim bim bim.
Erinnerungen an unseren Besuch in Schaffhausen hast du somit aus den hintersten Hirnstübchen geholt DANKE
@the rufus: Tolle Kurzfassung muss ich mir merken 🙂
@Nathalie: Herz und Auge, der Gaumen kommt bei Schillern zu kurz.
@Ti saluto Ticino: richtig, Sonntags bleiben wir immer zuhause.
@Margit Kunzke: wir geniessen derweil unsere 18°C und freuen uns auf den Herbst.
@irene: der Knochenmann scheint sich einzuprägen 🙂
Wie GM zu den Punkten kommt, kann ich dir mal in einer ruhigen Stunde erzählen, hatte auch mal 17 davon.
das hab ich mir gleich gedacht, dass bei onlyfood ein Könner am Werk ist. ich hab so meine Ahnungen, wie das mit GM zugeht.
eine kleine verständnissfrage zu dem wieder gern gelesenen bericht wie auch den kommentaren, z.b. die kurzfassung von @rufus welche meine oma auch immer drauf hatte und ich mich wieder erinnerte, warum der hinweis „bedienung deutsch“ war das + oder ./. ?
Die Einführung der Personenfreizügigkeit mit den EG-Staaten hat dazu geführt, dass der Servicenotstand in Schweizer Restaurants zu Ende ist. Mürrische Kellner vom Balkan aus Portugal oder sonstwoher konnten durch gut ausgebildete, in der Regel freundliche Servicekräfte meist aus dem Osten Deutschlands ersetzt werden. Schweizer wollen leider von diesem Beruf nichts wissen.
Bin mitgegangen – der Knochenmann schreckt mich nicht, ist ja nur aus Plastik. 😉