Brauchtum, das nicht mehr gebraucht, vielmehr gepflegt werden muss, damit es nicht vergessen wird. Schneller als vorgesehen sitze ich wieder am PC, aber diesen Anlass durfte ich nicht verpassen. Gestern Freitag legten in Basel vier Langschiffe zu einem Halt an während ihrer Fahrt von Zürich nach Strassburg. Die Fahrt soll an die beiden historischen Hirsebreifahrten von 1456 und 1576 erinnern, als die Zürcher ihren Strassburger Freunden beweisen wollten, dass sie ihnen im Falle einer militärischen Bedrohung innert Tagesfrist zu Hilfe eilen könnten. Dabei führten sie einen Topf mit heissem Hirsebrei mit sich, den sie in Strassburg noch warm übergeben konnten. Seit 1946, mit einer Ausnahme, wird die Hirsebreifahrt alle zehn Jahre wiederholt.

Politische, militärische und wirtschaftliche Beziehungen verbanden Orte der alten Eidgenossenschaft mit andern Städten am Rhein. So schlossen sich Basel und Zürich bereits 1253 dem rheinischen Städtebund an. Die Freundschaft am Oberrhein wurde durch verschiedene Vertragswerke festgehalten und bewährte sich in gegenseitigen Hilfeleistungen. Und wurde damals (wie heute) an beliebten Schützenfesten, sogenannten «Freischiessen», eifrig begossen und bekräftigt.

Während der Burgunderkriege unterstützte die Stadt Strassburg die Eidgenossen mit Truppen. Später trübte der Schwabenkrieg das Verhältnis zwischen Eidgenossen und Strassburg kurzzeitig, da Strassburg auf Seiten von König Maximilan von Habsburg gegen die Eidgenossen kämpfte. Der 1499 geschlossene Frieden von Basel beendete diesen Krieg. 1504 nahmen die Strassburger wieder an einem in Zürich durchgeführten Schützenfest teil. 1576 wurde eine zweite Hirsebreifahrt durchgeführt.
1588 wurde zwischen Strassburg, Bern und Zürich ein neues Schutzbündnis geschlossen, verbunden mit einem Handelsabkommen. Strassburg hinterlegte in beiden Städten ein Depositum, dafür hatten Bern und Zürich im Falle einer Bedrohung Truppen zu stellen.
Im Westfälischen Frieden 1648 trat Habsburg seine elsässischen Rechte und Besitzungen an Frankreich ab. Der Sonnenkönig, Ludwig XIV nutzte die Schwäche der europäischen Staaten zu einer beispiellosen Expansionspolitik. Angriff auf Holland, Eroberung der Freigrafschaft im Westen der Schweiz. Die freie Reichsstadt Strassburg bedroht. Der Strassburger Bitte um Hilfstruppen entsprachen die Schweizer vertragsgemäss. 600-800 Mann Berner und Zürcher wurden in Strassburg für rund 3 Jahre in Garnison gelegt. 1678 verteidigten diese Truppen tapfer den Brückenkopf Kehl und verloren dabei gegen 40 Mann.

1681 fiel Strassburg endgültig in französische Hände. Das war das Ende der Hilfsverträge. Die innere Zerrissenheit und die Streitigkeiten nach der Reformation, die egoistische Sorge um das eigene Schicksal und die völlig veraltete militärische Ausrüstung der Schweizer führten zu einer konfusen, widersprüchlichen und gegenüber der Grande Nation unterwürfigen Aussenpolitik. Etwa wie heute.
Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 wurde die Stadt Strassburg von badischen Truppen unter Artilleriefeuer genommen. Wie immer litt vor allem die Zivilbevölkerung unter der Kanonade. Der Basler Staatsschreibers Bischoff organisierte darauf eine gemeinsame Aktion mit Bern und Zürich. Einer Delegation gelang es, vom deutschen General von Werder die Zustimmung zur Evakuation von nahezu 1800 Zivilisten zu erwirken.

20 Jahre nach den Ereignissen wandte sich der aus Strassburg stammende Baron Gilbert Hervé-Gruyer mit dem Wunsch an den Bundesrat, ein Denkmal erstellen zu dürfen, das an die Hilfsaktion erinnere. Hervé-Gruyer beauftragte in der Folge den Bildhauer Auguste-Fréderic Bartholdi, Schöpfer der Freiheitsstatue im Hafen von New York, mit Entwurf und Ausführung des Denkmals. Auf der Hinterseite des am Bahnhof SBB stehenden Denkmals ist eine Kupferplatte eingelassen, das an die Hirsebreifahrten erinnert.
NB1: Die eben durchgeführte Hirsebreifahrt dauerte trotz Aussenbordmotoren rund 3 Tage. 1456 dauerte sie nur 22 Stunden. Grund: Die Überwindung diverser Schleusen und der Aufenthalt mit viel Speis und viel Trank und viel Musike in den besuchten Städten.
NB2: Am Samstag wird in Strassburg Hirsebrei (rund 200 kg) an die Bevölkerung verteilt. Durch die Firma Sprüngli zubereitet und mit einem Camion nach Strassburg gefahren.
Quellen:
Hirsebreifahrt 2016
Geschichte Berns, Richard Feller, 1955
NZZ, Donnerstag, 14. Juli 2016, Mission Hirsebrei
Erwähnenswert scheint mir (als Zürcher) noch zu sein, dass immer Vertreter der Stadtzürcher Regierung, des Stadtrates also, mit an Bord sind. Ausser Stadträtinnen (und dieses Jahr Stadtpräsidentin C. Mauch) hat es keine Frauen an Bord!
Liebe Grüsse aus Zürich,
Andy
Das isch jo au kai Gryzfahrt – wo Fraue dèrfe derby sii 😀
😂 hahaha … stimmt absolut, lieber Peter
Wer kocht denn den Brei, wenn nicht die Frauen 😉
So glad that you’re keeping up the history blog; you have a talent for finding buried treasures!
as long as our car is moving, there will be travelogues. And as long as I’m cooking there will be recipes. Rarely, but yet.
Wenn man jetzt noch einrechnete, was die Einhaltung einer Hirsebreiaus- und -einfuhrgenehmigung an Papierkrieg brächte, ist es schon gut, dass die historische Fahrt unter historischen Bedingungen stattgefunden hat 😉
Nicht nur die Zollformalitäten. Ob der Schweizer Hirsebrei konform mit der EU-Lebensmittelgesetzgebung zubereitet wurde, wollen wir lieber nicht fragen.
Irgendwie doch süchtig, aber lass‘ Dich nicht zu sehr verführen. Aber wie sagt schon „unser Arnie“: I’ll be back… 😉
Nachher ist nie mehr vorher, das weiss ich.
Super interessant zu lesen auch in weiter Ferne, dazu amusant.
Dank und herzliche Gruesse, Erich
es musste sein, ob ich in 10 Jahren noch lebe, kann mir niemand garantieren.
Hirse soll gut sein für die Haare und Fingernägel. Wann kommt das Rezept?
Gruss Bea
ich hab nur noch ein kleines, vergessenes Restchen Hirse mit Ablaufdatum 2007. Das gibt nichts Brauchbares.
Was gab mir ein, meine kleine Teepause mit einem Blick in La Mias Cucina zu verbinden? Mit Hirse, dem süßen Brei des Märchens, wurde der grüne Darjeeling aufs Feinste versüßt. Danke!
Verlass Dich auch künftig auf Deine Intentionen 😉