CH-2300 La-Chaux-de-Fonds: Treppenhäuser, Tannenstil und das Krematorium

La Chaux-de-Fonds liegt in einem Hochtal auf knapp 1000 m ü. M.. Die Winter hier oben sind hart. Die Stadt wirkt in ihrer geometrisch angelegten Architektur auf den ersten Blick reizlos. Kein Fluss, kein See, keine mittelalterlichen Stadtmauern, keine Altstadt: nichts, was den flüchtigen Besucher zu einem längeren Aufenthalt bewegen könnte. Bis zum Mittelalter wurde das Hochtal als Sömmerungsweide von Bauern aus dem tiefer gelegenen Val de Ruz benutzt. Noch im 16. Jahrhundert bestand La Chaux-de-Fonds nur aus ein paar Häusern sowie verstreuten Einzelhöfen in der Umgebung. Das Gebiet unterstand der Herrschaft Valangin.

Erst der Dreissigjährige Krieg bewirkte einen Aufschwung, da der Ort an den Handelswegen von Neuenburg in die Freigrafschaft Burgund bzw. dem Fürstbistum Basel lag. 1592 kam die Herrschaft Valangin, zusammen mit La Chaux-de-Fonds, unter die Oberhoheit der Grafschaft Neuenburg. 1656 wurde La Chaux-de-Fonds das Gemeinderecht (die Niedergerichtsbarkeit) zuerkannt, wenig später eine weitgehende Religions- und Berufsfreiheit, ohne Zunftzwang. Der Zustrom von aus Frankreich vertriebenen Hugenotten brachte ein starkes Bevölkerungswachstum und neue wirtschaftliche Impulse mit sich.

La Chaux-de-Fonds: Baulinienplan 1841 von Charles-Henri Junod, © wiki

Der wirtschaftliche Aufschwung von La Chaux-de-Fonds begann im 18. Jahrhundert mit der Einführung der Spitzenklöppelei. 1850 wurden im Gebiet von La Chaux-de-Fonds rund 500 Spitzenklöpplerinnen gezählt. Über Genf kommend, breitete sich gleichzeitig die Uhrmacherei der Jurakette entlang aus und wurde zur Nebenbeschäftigung von Bauern und Handwerkern. Hinzu kamen qualifizierte Schmiede und Schlosser, die Metalle für die Uhrenherstellung verarbeiten konnten. Sowohl die Spitzenherstellung als auch die Fertigung der Uhrenteile geschah zunächst überwiegend in Heimarbeit im Verlagssystem. Ein Händler oder ein Handelshaus (der Verleger) verteilte die Arbeit, lieferte die Rohstoffe, liess die Einzelteile in seinem Atelier zusammenfügen und justieren. Diese Arbeitsteilung ermöglichte eine höhere Produktivität. Mit den neuen technischen Möglichkeiten entwickelte sich La Chaux-de-Fonds Ende des 18. Jahrhunderts jedoch rasch zu einer Industriegemeinde. Es entstanden zahlreiche Fabriken.

La Chaux-de-Fonds, Blick zum Kunstmuseum in Art Deco Rot (ganz hinten)
La Chaux-de-Fonds, Streetart mit einem Hauch Magritte
La Gioconda und ihr Maler

Eine im Sommer durchgeführte Stadtführung mit Schwerpunkt Jugendstil öffnete uns die Augen auf die Schönheiten der bislang von uns so schnöde durchfahrenen Stadt.

Der Jugendstil wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch Uhrmacher und ihre Handelsvertreter nach La Chaux-de-Fonds gebracht. Die Kunstschule von La Chaux-de-Fonds entwickelte unter Leitung von Charles L´Eplattenier (1874-1946) eine neuartige Ausdrucksform, den sog. „Tannenstil“, inspiriert durch die regionale Flora und Fauna. Der Lehrer und seine Schüler schufen zahlreiche Werke, die sich neben dem Design von Uhren auch in farbigen Fenstern, Fliesen, Treppenhausdekorationen, Stuck-, Holz- und Eisenarbeiten manifestierten.

Der 1909 von Studenten der Kunsthochschule für den reichen Uhrenfabrikanten Rodolphe Spillmann dekorierte Blaue Salon ist ein prachtvolles Jugendstil-Gesamtkunstwerk.

Villa Spillmann, „Le Salon bleu“
Villa Spillmann, Terasse
Villa Spillmann, Tannen-Ornament im Fumoir

Der Stadtrundgang führte uns auch in einige sehenswerte Treppenhäuser. Je wohlhabender der Hausbesitzer, umso künstlerisch wertvoller die Ausgestaltung des Treppenhauses.

Die Toiletten im Zwischengeschoss
Die Treppen aus solidem Gotthard-Granit

Zum Abschluss der Besuch im schönsten Krematorium der Schweiz, erbaut von Charles L’Eplattenier 1909, künstlerisch gestaltet von ihm und seinen Schülern.

La Chaux-de-Fonds: Le Crématoire
Style Sapin: Ornamente am Portal des Crématoire
Im Zeremoniensaal: Gute Reise! Bon voyage!
Zeitgenössische Inbusschrauben und das Sicherheitsschloss haben den Jugendstil im Griff

Mein heutiger Reisebericht mag etwas befremdlich, verschroben ausgefallen sein. Kein Wort über die vielen Museen von La Chaux de-Fonds: das Musée International d’Horlogerie, das Musée des Beaux-Arts, das Quartier General, Centre d’Art Contemporain im alten Schlachthof und… und… Ein Grund irgendwann nochmals hinzufahren. Allein die Fahrt mit den CFJ Chemin de Fer jurassiennes lohnt den Ausflug.

Quellen:

Historisches Lexikon der Schweiz
wiki

15 Kommentare zu „CH-2300 La-Chaux-de-Fonds: Treppenhäuser, Tannenstil und das Krematorium“

      1. Ja sicher,
        dennoch Adolf Loos ist der eigentliche Zerstörer des Jugendstils.
        Ein Vater – Sohn Konflikt, sein Vater war Bildhauer in Österreich.
        Durch ihn wurden in Wien und Berlin Fassaden-Ornamente abgeschlagen, Jungfrauen mit entblößter Brust, die das Haus tragen …Jungfrauen, die Brust noch fest …

        Dann kam das Bauhaus, eigentlich eine arme Leute Architektur nach dem 1. Weltkrieg, ohne Türschwellen, es zog wie Hechtsuppe unter den Türen durch.
        Die Architekten fanden das toll, dieses Karge, die Ehefrauen eher nicht, legten etwas hin zum Abhalten der Kälte.
        Jetzt haben wir diese Kisten …

        Schweizer Architekten halfen ihnen zum Ansehen und zur Ästhetik. Zumthor ist so ein Künsterl, fahrt mal in die Therme in Vals, die war vor 20 Jahren, ca., ich erinnere mich nicht genau, ein meditativer Ort …

        1. Danke für die Kurzeinführung in die Architekturgeschichte. Frau H. kennt die Valser Therme, ich nur Bilder davon. Ich freue mich jedenfalls auf den Erweiterungsbau des Beyeler Museums durch Zumthor in Riehen/Basel.

  1. im „le salon bleu“ wäre mir das klöppeln wohl leichter gefallen.
    interessanter bericht, hat mir gut gefallen. dankeschön 👋🏼❤️🐝👑🐶

  2. Vielen Dank für den verschrobenen Bericht. Wir besuchen La Chaux-de-Fonds immer wieder, sei es kulinarisch oder für einen Museumsbesuch. Aber diese Seite der Stadt kannten wir nicht.

    1. Andererseits: „Wir werden uns daran gewöhnen müssen …“, ist eine Erfahrung, die wir nur schwerlich wegschieben werden können.

  3. Als Jugendstilliebhaberin der ersten Stunde kann ich nur eines feststellen: das ist das schönste Krematorium, das ich je gesehen habe!

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