Unsern Kurzaufenthalt im eiskalten Paris wollten wir mit einem Besuch im L’ Arpège bei Alain Passard krönen. Eigentlich… Seit 1996 hält er 3 Sterne. Passard, Gemüsegott mit drei eigenen Gemüsegärtnereien, die Gemüse weitgehend ohne Spritzmittel für ihn und Abonennten tagesfrisch produzieren. Passard ist inzwischen vom Vegetarier wieder zum Flexitarier mutiert. Die Kürbissuppe gibts für 88€. Das grosse Abendmenu für 490€. Geradezu ein Schnäppchen. Da Abendtische in Pariser 3-Sternelokalen über Tage, manchmal Wochen ausgebucht sind galt es sofort nach der Devise „how to book my month ahead table“, zu handeln. Eigentlich…
Beim Blättern im Internet stiess ich auf eine vernichtende Kritik (2016) von Ryan Sutton, einem erfahrenen food-Journalisten von Eater. Das mit Kamille gefüllte Kohlblatt machte mich stutzig, war Anlass, weiter zu recherchieren. Fand weitere, glaubhaft wirkende Belege, welche mein Unbehagen bestärkten. Je mehr ein Gast für ein Gericht bezahlt, desto größer ist die Erwartung, dass sich das Gebotene qualitativ von der traditionellen Basis abhebt, und zwar auf sinnvolle Weise. Und dass der Service perfekt ist. Kurz: In einer Stadt wie Paris, wo so viele junge Köche raffinierte Gerichte zu einem Bruchteil der im Arpège verlangten Preise anbieten, bieten sich noch andere Möglichkeiten, gut zu essen.
Nach ausgiebigem Recherchieren von Stil, Innovation, Tellerästhetik, Lage, Bewertungen, Bildern, Berichten und Kritiken (man ist schliesslich anspruchsvoll) fand ich zwei von Japanern geführte Restaurants, die mir gefielen: das AT von Atsushi Tanaka sowie das Bistro Automne von Nobuyuki Akishige.
Beide Lokale haben einen Michelinstern, sind minimalistisch, um nicht zu sagen spartanisch, aber ästhetisch eingerichtet: Holztische ohne Tischtuch, die Menukarten kommen bei beiden aus dem Tintenstrahldrucker. Freundlicher Empfang. Guter, aufmerksamer Service. Beide kochen modern. Die Qualität und Frische der Gerichte entspricht dem für Sterneküchen zu erwartenden Standard. Im Küchenstil unterscheiden sich die Köche. Tanaka sprüht von Innovationen, kocht aufwändig, ein wenig verspielt, ästhetisch angerichtete Teller mit japanischem touch im mittleren Preissegment (3 Amuses, 8 Gänge, 2 Desserts: 160€). Akishige pflegt hingegen eine eher französisch inspirierte Küche, wesentlich einfacher als Tanaka, mit gutem Preis/Leistungsverhältnis (5 Gänge: 85€, 7 Gänge: 135€).
Hier ein paar Tellerbilder aus dem AT:
Boeuf / Topinambour / Foin: Törtchen gefüllt mit Rindertartar und Topinambour. Dazu eine Rinderessenz.

Saint Jacques / Oca du Pérou: Scheiben von rohen Jakobsmuscheln mit Oca (Oxalis tuberosa), Löwenzahn, Schnittlauchöl und einer aromatischen Dashi.

Huître / Oseille / Livèche: Gillardeau Muscheln N°2 in einer krümelig-grünen, mit Stickstoff erzeugten Granita aus Sauerampfer und Liebstöckel.

Oursin / Carotte / Tonka: Seeigelfleisch mit Karotten und einer Seeigel-Bisque.

Camouflage: Truite / Genièvre / Persil: Der signature dish von AT: mit Wacholder leicht geräuchte Forelle, versteckt unter dünnen, verschieden grünen Chips, bestreut mit gefrorener Granita aus mit Wacholder geräuchtem Fromage blanc, beträufelt mit Petersilienöl.

Encornet / Cima di Rapa / Cédrat: Tintenfischstreifen auf Cima di Rapa-püree und Zedratzitronenwürfeln.

Turbot / Epinard / PilPil: Steinbutt an und in Spinat, mit Pil Pil und Salbeisauce gewürzt.

Pigeon de Poitou / Rutabaga / Sudachi Kosho: Gebratene Taubenbrust und -jus. Üppige Fleischportion. Von den kleinen Beilagen erinnere ich mich nur noch an das Tannennadelpesto, Stachys, Rutabaga und das Gewürz aus japanischen Zitronen. Das in Sesam gebackene Taubenbein inklusive Krallen erinnerte an einen Flugsaurier und war deplaziert.

Pré-Dessert Betterave / Poivre de Timut : Rote Bete als Biskuitblatt, Gel-Stangen mit halbflüssiger Crème-Füllung, Randen-Eiweiss-Chips mit Randen-Granita und als Konfitüre.

Dessert: Coing /Poivre Verveine: Quittenwürfel, Quittencreme und -chip

Fazit: Beide Restaurants sind empfehlenswert. Das AT um einmal richtig schlemmen zu gehen ohne sein Bankkonto leerplündern zu müssen. Das Automne, wenn man in der Nähe wohnt, wegen seiner einfachen, günstigen Mittagsgerichte (45€ mit Wein und Kaffee).
Notiert!
wenn die Rentenreform einmal geschluckt ist, isst es sich unbeschwerter.
Ich war in der letzten Woche mittags zum Lunch im Arpège. Ich war begeistert. Jeder der 12 Gänge, alle vegetarisch, war perfekt, geschmacklich wie optisch ein Highlight! Ebenso der Service. Ich kann es nur empfehlen . Lieben Gruß
Dagmar Schinkel photoart@work
umso besser, wie immer gilt der Refrain von Louis Chedid:
„Ainsi va la vie, ceux qui restent ont toujours raison
Ainsi va la mort, les absents ont toujours tort…“ 😉
Das ist wunderschön, war hoffentlich eine ebensolche Gaumenfreude und ganz sicher jeden €cent wert. Der Besuch war vor der Rentenreform, wie es den Köchen momentan im streikenden Frankreich ergeht, weiß man nicht…
Gegessen wird weiterhin, das lassen sich die Franzosen nicht nehmen…
Welch hervorragende Berichte, es läuft einem dasWasser im Mund zusammen, schon allein wegen der absolut meisterhaften Fotos. Einmalig.
meisterhaft ??? ich klicke nur auf mein Handy, das erledigt alles für mich.
Das ist das typische Understatement eines wahren Genuss-, Text- und Handyfoto-Künstlers
Diese Bilder sind kaum zu toppen, die reinsten Kunstwerke.
Und das tolle Essen auf ebenso tollen Keramiktellern dargeboten. Eine vergängliche Kunst.
Jedes Gericht hat seine Teller. Die Kunst auf dem Teller ist vergänglich. Die Teller bleiben und sind der Rahmen für neue Bilder. Die Koffer sind gepackt. In den nächsten Tagen wirds für uns wieder ganz einfach.
Grossartig! Ich will nach Paris! Jetzt! 😉
Schön geschrieben und fotografiert 👌🏻
Liebe Grüsse aus Zürich,
Andy
nur nichts überstürzen! Der Winter nimmt eben seinen Abschied und mit ihm das fermentierte Gemüse. Der Frühling hält Einzug in den Küchen, mit frischem Gemüse kann alles nur noch besser werden. Liebe Grüsse, Robert
Wow, das Wasser läuft mir im Munde zusammen …. Ich muss mir jemanden suchen, der französisch spricht und mich begleitet. Danke für den tollen Bericht
Tue das. Mit einer Freundin in Paris wird die Stadt noch attraktiver 😉
hmmm – das sieht klasse aus! Wird notiert für den nächsten Paris-trip – merci beaucoup ! Ich will ja hier keine müßige Diskussion über Preise im Luxus-Segment von „EGAL-WAS“ vom Zaun brechen, aber die Suche nach „vernünftigen“ Alternativen finde ich immer eine hervorragende Idee…
liebe Grüße aus Starnberg
Gila
an „vernünftigen“ Alternativen herrscht in Paris wahrlich kein Mangel.
Das habt Ihr richtig gemacht!
wir warn nur kurz, umso weniger wollten wir uns Reinfälle oder Ärger leisten.
War am 4. Januar 2023 im Arpège. Vollkommene Enttäuschung. Völlig überrissenes Preis-/Leistungsverhältnis. Gastgeberrolle inexistent; hochnäsiges Schnöseln allenthalben.
Begeistert dafür vom L’Archeste (https://www.archeste.fr/) einem kleinen (wenige Tische) Japaner, der die französische Küche mit leichtem japanischem Akzent vorzüglich interpretiert. Preis-/Leistung hervorragend und weit überdurchschnittliche Weinauswahl.
das l’archeste sieht gut aus. Danke!
Die Bilder regen den Speichelfluss an 😉 …. danke dafür
Der flux salivaire kostet nichts 😉