A-1000 Wien: Donau, Ziesel, Zilk, Ernst&Friederike

Mit dem Eintreffen der Reisegruppe begann der „wissenschaftliche und literarische“ Teil der Reise. Btw: Für ReiseberichtLeseunlustige sei der eben publizierte September-event von 6plus6 mit einem vegetarischen Karottengericht empfohlen: lucasrosenblatt.net

Im Wiener Becken, wo die Donau aus den Voralpen in die Ebene fliesst, wo die mitteleuropäische Waldnatur auf die Steppenlandschaft Pannoniens trifft, kreuzen sich nicht nur Flora, Fauna und Klima, sondern auch die Kulturen Mitteleuropas und der Alpen mit jenen der Tiefländer Osteuropas. Die Donau ist das verbindene Element. Das Wiener Becken ist ein tektonisches Einbruchsbecken, das mit Sedimenten aus dem Alpenraum gefüllt ist. Entstanden etwa vor 17 Millionen Jahren. Es liegt im Nahtbereich zwischen Alpen, Karpaten und der Pannonischen Tiefebene. Topographisch trennt das Becken die Alpen von den Westkarpaten, geologisch sind die beiden Gebirge jedoch durch die Gesteine im Untergrund verbunden.

Freiluftkolleg im Schatten von Flaumeichen am Bisamberg

Die erste Wanderung führte uns auf die alten Schanzen bei Stammersdorf am Bisamberg. Die rund 31 Schanzen um Wien wurden im Zuge des Preussisch-Österreichischen Krieges 1866 angelegt. Damit hätte das vorrückende Preussische Heer aufgehalten werden sollen. Dazu kam es nicht mehr, das Friedensabkommen nach der Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 machte die Anlagen überflüssig.

Im Ersten Weltkrieg wurden einige Schanzen im Bereich des Bisamberges -notdürftig- instandgesetzt. Sie sollten zur Verteidigung Wiens gegen vorrückende Truppen des zaristischen Russland dienen, doch fanden sie wiederum keine Verwendung. Im Zweiten Weltkrieg waren auf einigen Schanzen am Bisamberg FLAK-Geschütze der Wehrmacht stationiert. Die Niederlage konnten sie nicht aufhalten.

Von den Schanzen sind heute nur noch Rudimente vorhanden. Sie sind heute Brachen oder Biotop-Räume und durch Vegetation überwachsen.  Der trockene Landstrich entstand während der Eiszeit durch Kies-Ablagerungen der Donau und wurde später mit Flugsand (Löss) überdeckt Hier lebt (noch) eine grössere Kolonie des westeuropäischen Ziesels.

Foto: Jan Svetlík – https://www.flickr.com/photos/svetlik/4499922074/sizes/o/in/photostream/

Der Ziesel (Spermophilus citellus), ist ein bodenbewohnendes, Erdhörnchen, das meist Steppengebiete und Graslandschaften besiedelt. Es ist ein eichhörnchengrosses Nagetier und kommt in den Steppen Südosteuropas, in Österreich, in Teilen des Balkans sowie in der Türkei vor.

Das kleine, scheue Erdhörnchen blickt in Österreich ungewissen Zeiten entgegen. Immer weniger Lebensraum, viele Feinde und Gefahren: Mensch und Greifvögel.  Gesehen haben wir 3 Exemplare aus Distanz in einem Rebberg, wo sie seitlich durch Reben geschützt die langen Rebzeilen im Blick haben. Bei Gefahr warnen sie sich durch Pfiffe und verschwinden sofort in ihren Erdlöchern. Sie gehen nun für ein halbes Jahr in den Winterschlaf und hatten kein Interesse daran, von uns gestreichelt zu werden.

Daneben war auch Blümeln im Programm, natürlich wäre Frühjahr dazu die schönere Jahreszeit, für ein verspätetes Exemplar des entflammbaren Weissen Diptam (Dictamnus albus) hats doch noch gereicht.

Tags darauf bewegten wir uns auf literarischen Pfaden durch die Stadt. Am Schwarzenbergplatz eine kurze Übersicht auf die Wiener Gegenwartsliteratur. Einer der Reiseteilehmer, der seit Jahrzehnten in der Schweiz lebende Berliner Schauspieler Klaus Henner Russius, rezitierte Lautgedichte von Ernst Jandl und Werke von Friederike Mayröcker.

Des weiteren erwanderten wir das hübsche Margarethenviertel. Kleinstädtischer als das Zentrum, doch lebenswerter.

Auf einen Sprung in das  neue Sonnwendviertel im Bezirksteil Favoriten auf dem ehemaligen Gelände des Frachtenbahnhofs (Südbahnhof) Wien. Auf einer etwa 34 Hektar umfassenden Fläche wurden etwa 5000 Wohnungen für rund 13000 Menschen erbaut. Bauträger waren sowohl staatlich geförderte Genossenschaften wie frei finanzierter, privater Wohnbau. Grünes Zentrum des Viertels ist der sieben Hektar große Helmut-Zilk-Park, benannt nach einem früheren Bürgermeister (ja, der mit der Soubrette Dagmar Koller) der 2016 eröffnet wurde. 

Obwohl die Wiener Stadtplanung für die Planung ein eigenes Stadtteilmanagement-Team einsetzte, das die Akzeptanz des Projekts bei der Bevölkerung sichern sollte, sind einige der Wohnblöcke -nach dem Urteil unserer Wandergruppe- nur teilweise gelungen, auch bei der Gestaltung des Parks wurden vom (Schweizer Gartenplaner, dem Gewinner der Ausschreibung) unverständliche Grünflächen gestaltet. Aber unsere Wandergruppe wurde ja nicht gefragt 😉

Abends stand ein Spaziergang durch das Servitenviertel auf dem Programm. Durch das „Grätzel“ führte uns der deutsch-bulgarische Schriftsteller, Übersetzer und Verleger Ilija Trojanow. Im Gegensatz zum einfachen Margarethenviertel wohnte hier das Grossbürgertum. Hier lebten u.a. der Atomphysiker Ludwig Boltzmann, Siegmund Freud, Theodor Herzl, Ferdinand Porsche, Felix Salten, der Physiker Felix Schrödinger, der Schriftsteller Friedrich Torberg (die Tante Jolesch). Der Anschluss an das Deutsche Reich war das Ende für die jüdischen Einwohner. Ein Wasserbecken mit Namensschildern und einige Trittsteine erinnern daran.

Ilija Troanow in der Mitte (hinter Frau H.) stehend.

Im Servitenviertel steht auch das Gartenpalais [korr] des Fürsten von Liechtenstein. Ein imposanter Barockbau.

Der Abend dämmerte schon, als uns Ilija Trojanow zur Strudelhofstiege führte, ein Treppenbrunnen aus dem Jahre 1910 im Jugendstil. Gleichzeitig ist sie Namensgeberin des 1951 erschienenen Romans des österreichischen Schriftstellers Heimito von Doderer.

Dann wurde es zu dunkel für mein Handy und das Nachtessen wartete.

Neuer Tag, neue Wanderung. Diesmal in den Nationalpark Donau-Auen. Ein 9600 ha großer Nationalpark, der sich von Wien bis zur Mündung der March in Niederösterreich an der Staatsgrenze zur Slowakei erstreckt. Er ist eine der größten weitgehend intakten Aulandschaften Mitteleuropas entlang der Donau. Das Gebiet hat eine Länge von 38 Kilometern, misst an seiner breitesten Stelle kaum vier Kilometer.

Das Bild könnte von Claude Monet sein. Nur die japanische Brücke fehlt.

Seit dem Entstehen der Donau nach der Auffaltung der Alpen und Sedimentation der Pannonischen Tiefebene veränderte sich der Lauf der Donau bis ins 19. Jahrhundert immer wieder. Die Regulierung der Donau wurde im 15. Jahrhundert begonnen und ab dem 19. Jahrhundert systematisch durchgeführt. 

Immer diese Prüfungen! Suche den auf dem Zettel genannten Baum/Busch und belege ihn mit einem Blatt. Immerhin winkt dem Sieger bei gewissen Prüfungen eine Mozartkugel.

Berberitze (Berberis vulgaris)

Wien?? Jederzeit gerne wieder!

11 Kommentare zu „A-1000 Wien: Donau, Ziesel, Zilk, Ernst&Friederike“

  1. Was für ein schöner Bericht. Da kann man selbst als in Wien Lebende noch was lernen. Habe mich nie gefragt, was es mit den Schanzen auf sich hat. Ja, Wien hat so viel mehr zu bieten als die meisten Besucher sehen.

  2. Erratum: Dictamnus

    Manche meinen, Lechts und Rinks kann man nicht velwechsern – werch ein Illtum
    E. Jandl

  3. Wir kennen uns (flüchtig) von der Marseille-Reise.
    Schon damals hast du einen schönen Reise-Blog verfasst.
    Nun da wir wegen der Hüftgelenkoperation von meiner Frau die Wien-Reise nicht antreten konnten, sind wir froh, dass du wieder einen so interessanten Reisebericht geschrieben hast.
    Vielen Dank dafür. – Herzliche Grüsse – Hugo und Maja

    1. so wollen wir hoffen, dass alles gut verlaufen ist und ihr nächstes Jahr wieder mitwandern könnt. Liebe Grüsse, Roberrt und Helena.

  4. … bleibt nur zu hoffen, dass die aktuell weiter östlich angelegte unterirdische Schule auch für nix gebaut werden muss! Danke einmal mehr für deinen spannenden Reisebericht. D

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