In zahllosen Windungen fällt die Pass-Strasse vom Berninapass nach Poschiavo hinunter. Angelangt, umfängt einen das Licht des Südens. Häuser haben und machen Gesichter. Sie sind älter als ihre Bewohner, sind dadurch Zeugen von Weisheit oder Torheit der Menschen. Aus manchem Hause scheint die Laune der Bewohner zu strahlen. So ganz anders als in unsern Städten, wo die Architekten ihre anonymen Betonburgen mit Menschen auf- und zufüllen. Mit Menschen, die ihren Häusern ewig fremd bleiben.
Etwas südlich von Poschiavo liegt Le Prese, am Rand des Lago di Poschiavo. Ein paar Jahre ist es her, dass wir hier unsern letzten Tee schlürfen durften. Danach war Schluss, das Hotel wurde geschlossen und an einen Mailänder Immobilienhändler verkauft, der es vergammeln liess.
Dank der Initiative einer betuchten Baslerin konnte das Haus zurückgekauft werden, es befindet sich nun wieder in festen Händen, wurde total renoviert und strahlt in hellem Glanze. Wir haben hier bei schönster Aussicht u.a. gute, hausgemachte Capunet gegessen.
Ristorante La Perla im Hotel Le Prese
Da das Wetter mitspielte, gabs noch eine kleine Wanderung nach Miralago, entlang der bequemen Seeseite. Das Herz mag keinen Sport mehr. Die an einem Leitungsmast der Berninabahn kunstvoll angebrachten drei Besen haben übrigens eine spezielle Funktion. Welche wohl ?
Einmal mehr unerreichbar für uns, da nur nach längerem Fussmarsch erreichbar: San Romerio, auf 1800 m.ü.M, hoch über dem See, angeblich einer der schönsten Orte der Schweiz.
San Romerio, das Unerreichbare
Einheimische wollen wissen, dass, wer einmal vollständig um das Kirchlein San Romerio gelaufen sei, niemals mehr krank werde. Schlaumeier. Das im 11. Jahrhundert erbaute Kirchlein liegt unmittelbar an der Felskante, die steil in die Tiefe abfällt. Umrundung unmöglich, dabei hätten wir uns so gerne ewige Gesundheit eingetauscht.
Das Valposchiavo, ein nördlich gelegenes Seitental des Veltlins, beginnt auf dem Berninapass (2328 m) und endet an der Grenze zu Italien, vor Tirano, auf rund 550 m. Diese Jahr sind wir wieder einmal mit der Berninabahn bis Tirano und zurück gefahren. Im Bummelzug, damit die Fahrt länger dauert und ich die Aussicht nicht mit einem Wagen voller Japaner teilen muss 😉 In Poschiavo (hier mein Bericht aus 2007) sind wir für einen Zwischenhalt ausgestiegen, Mittagessen im Ristorante Albrici. Manfriguli, ein mit Käse gefülltes Buchweizenomelett.
Poschiavo, Plazza da Cumün mit Hotel Albrici
Plazza da Cumünehemaliger Wehrturm im Rathaus
Die Geschichte des Puschlavs war lange Zeit eng verknüpft mit dem Los des südlichen Nachbarn. Sowohl die Besiedlung wie die Romanisierung und Christianisierung erfolgten von Süden her.
Im 13. Jahrhundert ein Lehen des Churer Bischofs, gelangte das Dorf 1350 unter mailändische Herrschaft, im Gegensatz zum Veltlin gelang aber dem Puschlav im ausgehenden Mittelalter die gewaltsame Befreiung von der Feudalherrschaft und 1494 die Orientierung nach Norden als freies, unabhängiges Hochgericht des Dreibündenstaates.
Die Religionswirren nach der 1547 eingeführten Reformation brachten dem Tal langandauernde Konflikte und Spannungen. Nach der turbulenten Phase der Bündner Wirren im Dreissigjährigen Krieg nahm Poschiavo eine eher ruhige Entwicklung, die sich vor allem auf den Passverkehr und die Landwirtschaft stützte. Die Französische Revolution hinterliess nochmals deutliche Spuren.
Das Veltlin löste sich aus dem Untertanenverhältnis zu den Drei Bünden und wandte sich endgültig Italien zu. 1803 trat das Puschlav mit dem neuen Kanton Graubünden in die Schweizerische Eidgenossenschaft ein.
Die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen des Puschlavs blieben allerdings noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts hauptsächlich auf das Veltlin ausgerichtet. Mit dem Bau von Berninabahn und Kraftwerken 1904-12 wurde das Tal aus seiner Abgeschiedenheit befreit.
Oratorio Sant'Anna mit Beinhaus und Totenschädeln im Portikus
Im 17. bis 19. Jahrhundert wanderten viele Puschlaver aus Armutsgründen aus, bevorzugt nach Spanien, Portugal und Frankreich, wo sie häufig als Zuckerbäcker tätig waren. in Madrid, Barcelona und Porto wurden legendäre Confiserien und Restaurants von Puschlaver Familien geführt. Einige brachten es zu beträchtlichem Wohlstand. Die heimatverbundenen unter ihnen kehrten nach einigen Jahren in der Fremde wieder in ihre Heimat zurück. Mit Stolz stellten die Erfolgreichsten zu Hause ihren Reichtum zur Schau, indem sie am südlichen Dorfrand von Poschiavo prächtige Villen erstellen liessen.
Die Palazzi bilden einen Strassenzug herrschaftlicher Villen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts am ehemals südlichen Ortsrand von Poschiavo, der auch Spaniolenviertel genannt wird.
Poschiavo, Via di Palaz
Die Palazzi liegen in einer 120 m langen Reihe drei- bis vierstöckiger Giebelhäusern an der Nordseite der Via di Palaz. Die bunten Fassaden der neoklassistischen Häuser sind alle nach Süden ausgerichtet und verfügen auf der anderen Strassenseite über Gemüsegärten.
Danach Fortsetzung der Fahrt nach Tirano. Die Berninabahn gilt als höchste Adhäsionsbahn der Alpen und – mit bis zu sieben Prozent Gefälle – als eine der steilsten Adhäsionsbahnen der Welt. 1910 konnte sie auf ihrer gesamten Länge zwischen St. Moritz und Tirano eingeweiht werden. Sie wurde von Anfang an elektrisch mit Gleichstrom betrieben. Seit dem Winter 1913/14 wird der Bahnbetrieb auch im Winter aufrecht erhalten. Die Berninabahn wurde gemeinsam mit der Albulabahn 2008 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.
Fahrt durch Kastanienhaine bei Brusio
Unterhalb von Brusio besitzt die Bahn als letzten Höhepunkt einen Kreisviadukt, der alleine der Höhengewinnung, bzw. der Höhenvernichtung dient.
Kreisviadukt BrusioAuf dem Viadukt
Mein Traum, einmal im Winter die tiefverschneite Landschaft der Bernina zu befahren.