CH-1148 L’Isle: Schloss

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Wer Autobahnen meidet, stattdessen mit Augen, Nase und Gaumen als Navigationsgerät durchs Land fährt, macht immer wieder erstaunliche Entdeckungen. So erinnere ich mich heute noch an die Überraschung, wie ich vor Jahren erstmals durch dieses weltverlorene Dorf im tiefsten Waadtland fuhr und hinter zwei gefühlten Miststöcken unvermittelt und unerwartet auf ein kleines Versailles stiess. Für Nachkochendereisende ohne Automobil: Der Ort ist auch mit einem Bähnli von Morges aus erschlossen.

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Dahinter liegt ein Schloss !

Der Ursprung des Ortes geht auf das 11. Jahrhundert zurück. Geschichtlich einwandfrei belegte Fakten stammen jedoch erst vom ausgehenden 13. Jahrhundert, als die Herren von Cossonay bei den Quellen der Venoge ein ummauertes Städtchen gründeten. L’Isle erhielt 1431 eigene Freiheiten und bildete seit diesem Datum eine unabhängige Herrschaft.
Mit der Eroberung der Waadt durch Bern im Jahr 1536 kam die Seigneurie de l’Isle als mediate Herrschaft (Twingherrschaft) unter die Verwaltung der Vogtei Morges. Besitzer des Schlosses war zu jener Zeit die französische Adelsfamilie Dortans aus Savoyen. 1614 kamen Burg und Herrschaft durch Heirat in die Familie von Esaïe de Chandieu, einem Edelmann aus dem Dauphinois, Kaplan von Henri Quatre von Navarra.

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Blick in den Ehrenhof

Das heutige Schloss geht auf Charles de Chandieu, einen Nachkommen von Esaïe zurück. Charles absolvierte eine glänzende Karriere in der Armee von Ludwig XIV.: Mit 17 Jahren trat er in ein Freikorps ein, avancierte später zum Brigadier, dann Feldmarschall. Er befehligte eines der ältesten Berner Regimenter in französischen Diensten und wurde 1721 vom französischen König zum Generalleutnant ernannt. Nachdem seine Braut, Catherine de Gaudicher, die alten, bescheidenen Gemäuer von L’Isle erstmals zu Gesicht bekam, wollte sie, so überliefert es eine Anekdote, die Verlobung wieder auflösen. „Ce n’est que ça?“ (Ist das alles?) Charles liess sich von einem Neubau überzeugen. Danach schenkte sie ihm 11 Kinder. 1694 liess er vom Hofarchitekten des Königs Ludwig XIV, Jules Hardouin-Mansart, Erbauer von Schloss Versailles und dem Invalidendom, Pläne eines Neubaus zeichnen. 3 Jahre später stand das Schloss fertig da. Wenn sich Frauen etwas in den Kopf setzen….

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Das angerostete Eingangstor mit dem Wappen der Chandieu

Nach dem Zusammenbruch des Ancien régime,  1798, wurde die Herrschaft L’Isle dem Bezirk Cossonay zugeteilt. Das Schloss wurde 1810 verkauft und 1877 von der Gemeinde L’Isle erworben. Es wird heute für die Gemeindeverwaltung und als Schulhaus genutzt.

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Das 1696-98 im Stil des französischen Klassizismus erbaute Schloss besitzt zwei kleine, rechtwinklig zum Hauptgebäude stehende Seitenflügel. Südlich an das Schloss schliesst sich ein Park mit Alleebäumen an, der sich bis zum breiten Wasserbecken der Venoge ausdehnt.

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Brücke über die Venoge in L’Isle

Die Venoge war im 17. Jahrhundert als Teilstrecke des geplanten und kläglich gescheiterten Rhein-Rhone-Kanalprojekts vorgesehen.

Quellen:
L’Isle, Les secrets de son passé, Guy Bise
wiki Chateau de l’Isle

14 Kommentare zu „CH-1148 L’Isle: Schloss“

  1. „Wenn Frauen sich etwas in den Kopf setzen … “ – schmunzel – wie war!
    Aber deshalb steht jetzt dieses kleine Bijou da und für uns gab’s wieder einen schönen virtuellen Sonntagsausflug – merci.
    Liebe Grüsse und Euch einen schönen Sonntag,
    Andy

  2. Schoen, Danke. Wieder einmal bestaetigt sich, wie beinahe allen Deiner Schloss-Berichte, die Vergaenglichkeit persoenliche Eigentums. Die Familie stirbt aus, Besitz zersplittert bei Erbgaengen, bestehende Ordnung wird umgestuerzt, Kriege, Niederlagen, was immer: Stabilitaet kehrt ein, wenn die oeffentliche Hand uebernommen hat.

  3. Also diese Uhr. die sieht aus, als ob das Treppenhaus extra für sie entworfen worden wäre. Und deine Meinung zu Navis kann ich nur bestätigen. Schönen Sonntag!

    1. Hätte mich gerne noch weiter umgesehen, doch das Schloss ist nicht öffentlich zugänglich, insbesondere war der grosse Saal verschlossen. Andere Räume durch Schulklassen „gesperrt“.

  4. Ein Lebensraum in dem sich zweifellos gut leben liese – und eine schöne, alter Zeder habe ich auch erspät.Mit elf Kindern hat man wohl sämtliche Zimmer bestimmt bewohnt bekommen!

    1. Die damaligen Bewohner müssen, wie Du, einen Hang zum ländlichen Leben gehabt haben. Der Gemüsegarten sieht jedenfalls prächtig aus. Mir wäre es hier zu abgelegen. Im Dorfladen gibts nicht viel.

  5. Wiederum e interessante Bricht und e sehr e nätts Schlessli. Danggerscheen.
    Im Charles si Kuchibrigade – nit d‘ Madame – hätt bestimmt hyte au kocht bi däm Sauwätter. Ich ha au usgiibig d‘ Lèffel gschwunge.

    1. Was kann man Bessers anfangen als zu kochen? Auch ich stand geschlagene 5 Stunden in der Küche: für die kompliziertesten Gnocchi meines Lebens. Bin jetzt noch halb erschlagen.

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