Poligny: Abseits des Doubs (30)

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Belvédère de Crançot: Blick in die Reculée de Baume

Ausreisen bedeutet immer auch Heimreisen. Heimkehr zwingend. Irgendwo in der französischen Provinz zu verweilen, gar zu stranden: unmöglich. Von Lons-le-Saunier umfahre ich auf der D471 den Talkessel von Baume-les-Messieurs Richtung Schweiz. Bei Crançot bietet sich ein schöner Blick ins Tal. Und warum nicht gleich nochmals hinunterfahren. Ich bin noch nicht fertig hier. Mit einem Abstecher nach Granges-sur-Baume, wo mitten im Dorf ein Aussichtspunkt samt angeschlossener Laiterie mit Butter und hauseigenem Comté lockt. Die Laiterie Poulet war, um 14 Uhr kein Wunder, geschlossen, der Aussichtspunkt immerhin zugänglich.

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Belvédère de Granges-sur-Baume, Blick auf Baumes-les-Messieurs
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Baume-les-Messieurs: Benediktinerabtei Saint-Pierre

In Baumes-les-Messieurs fahre ich bis in den hintersten Teil des Felsenschlusstales. Mäxle parkiere ich auf dem letzten Schattenplatz inmitten einer Armada von Caravan-Schlachtschiffen. Der Tuffstein-Wasserfall (Wasserfälle schliessen nur selten) wird von einem unterirdischen Bach, dem Dard, alimentiert, der sein Wasser inmitten einer grünen und magischen Landschaft aus Moosüberwachsenen Felsen in die Freiheit entlässt. Um die Cascade des tufs zu besichtigen ist es Ende Juni schon zu trocken, im Frühjahr sind die Wasserfälle eindrücklicher. Unweit davon ist der Eingang zu den Grottes de Baume. Grosse Höhlen, mit viel Licht und Lumière bunt und kitschig (sprich: eindrucksvoll) angestrahlt. Disneyland unterirdisch. Nur mit Voranmeldung auf eine Covid-Sondernummer und Führung in Kleinstgruppen zu besichtigen. Muss nicht sein.

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Cascade des tufs
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Cascade des tufs

Nächster Halt in Poligny, la Capitale du Comté. Im Stadtgebiet entspringt der Bach Orain, der nach 39 km in den Doubs mündet. Eine mittelalterliche Kleinstadt, kleiner als Lons, 8 Käseläden mit rund 4000 Einwohnern. 3 Monate musste ich ohne Comté auskommen. Meine Wahl fiel auf den Laden Essencia. Ein Besucher aufs Mal. Ein kleiner, altmodischer Laden mit sehr guter Auswahl u.a. der Comtés des grossen Affineurbetriebs Vagne. Ein Grund, um wieder hieher zu kommen.

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Das Lächeln der Tante (Mamie Vagne?) von Monsieur Philippe Bouvret

Gleich vor der Türe des Käseladens liegt die Kirche des ehemaligen Cluniazenserpriorats. Gegründet 1083 durch Bernard, Abt in Baume-les-Messieurs. Unklare Besitzverhältnisse führten zu einem langen Streit mit den Bischöfen von Autun, der erst 1523 durch Jeanne de Bourgogne entschieden wurde. Kirche und Kirchengut blieben bei Baume. Im 15. Jahrhundert wurde die Pfarrei mit jener der Kollegiatskirche Saint-Hippolyte in Poligny zusammengelegt, was letztlich zum Verfall des Priorats führte. 1450 wurde das Prioratsgebäude demoliert. Die Kirche scheint nicht mehr in Betrieb zu sein: Geschlossen.

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Église Notre-Dame de Mouthier-le-Vieillard
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Turm der ehemaligen Kollegiatskirche Saint Hippolyte

Poligny lebt heute noch vom Handel, dem Weinbau und der Verarbeitung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse aus der Umgebung. Wie in vielen anderen, kleinen Städten der Provinz sind die Anzeichen für den fortschreitenden Verfall von Angebot und Nachfrage unübersehbar: Geschlossene Läden, vergammelte Bars, Supermarchés auf der grünen Wiese.

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Eingangsportal Hôtel de Fauquier-Beauffremont, 17. Jahrhundert
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Hotel d’Astorg, 18. Jahrhundert

Prachtvoll die Bürgerhäuser aus dem 16. bis 19. Jahrhundert, an der Grande-Rue teils mit Renaissanceportalen. Prachtvoll die Statue von General Travot, einem Sohn der Stadt. Liebenswert die kleinen Wohnhäuschen in der Rue de Boussières. An der Nordseite ein Wehrturm (Tour de la sergenterie).

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Hausglocke an der Rue de Boussières
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Durchgang zum Tour de la Sergenterie
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Tour de la Sergenterie

Zum Abschluss noch die obligate Stippvisite in Arbois, 3 Flaschen Savagnin zum Kochen.
Fazit: Es ist noch alles da, wie ich es vor 8 Monaten verlassen hatte. Und doch von einem Schleier aus Mehltau überzogen.

27 Kommentare zu „Poligny: Abseits des Doubs (30)“

  1. Heimkehr nach schönem Sehen ist selbst mit Mehltau besser als Zuhausebleiben. Arbois…ach ja, das wäre schön und Comtè dazu mehr als das. Herzlich, Sunni

      1. Kei Problem! I ha in der Nöchi ebeso e gueti Comté-Quelle. Di Bschtellig an mi via e-mail ich jederzyt wilkomme und wird sogar no bis vor’s Huus glieferet !
        Und di Bricht isch – wie immer – hochinteressant. I bi mit Google-Earth eglai mitgfahre 😉

        1. Danke. Tolles Angebot. Doch würde damit eine wichtige Begründung meiner Ausreisen wegfallen. Inzwischen könnte ich den Comté auch wieder in La Ferrette holen. Doch La Ferrette ist nicht die Franche-Comté 🙂

  2. Oft denke ich auf deiner Seite, dass die Fotos „heute“ besonders gut gelungen sind. Heute denk ich’s einmal mehr. Noch dazu erinnern mich Stimmung und einzelne Motive – der Durchgang – an das alte Erfurt, das noch nicht saniert war und das wir Studierenden so oft zeichneten. Wie es da gerochen hat, wie lang das her ist. Froh bin ich, dass es heute instand gesetzt ist, und doch… Melancholische Grüße und hab Dank – P.

    1. Die Fotos sind immer vom gleichen Handy. Mal besser, mal schlechter, aber auf das kommts mir nicht an. Was am Ende bleibt sind die Erinnerungen, und die sind im Kopf. Die alten Städte im Osten, da wollt ich doch auch noch hin.

      1. Es kommt eben auf den Blick mehr an als aufs Gerät. Und Erfurt ist das Hinschaun wert, die Altstadt groß und fast alles darin sensibel restauriert. Die Erinnerung ist mit Menschen bevölkert, die nun in alle Winde zerstreut.

      2. Oh ja, und wir nicht weit von Erfurt! Und so viele schöne Städte, Erfurt, Weimar, Jena, Gotha..Eisenach mit der deutschesten der Burgen und ganz nah wir…JA! Träumen muss man, sonst ist man verloren! Es kommt bald ein kleines Träumchen per Post…Und es geht doch weiter, immer weiter. Vive la Franche Comtè!

  3. Ich kann mich den Vorkommentaren nur anschließen: wunderschöne Fotos!
    Danke fürs Mitnehmen 😊

    Ganz liebe Grüße Eva

  4. Oh, in Poligny habe ich auch vor ca. 5 Jahren ein Stück Comté erstanden, dann in Arbois in einem Innenhof eines alten Gebäudes gegessen und in einem unscheinbarn Dorf in der Nähe köstlich geschlafen. Am Morgen gab es dann im Chambres d’Hotes selbstgebackenes Brot. Sehr ungewöhnlich für Frankreich.
    Schöne Woche wünscht der Buchfink

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