
Der Sage nach soll Karl der Grosse einst einen Hirsch von Aachen bis nach Zürich verfolgt haben, als sein Pferd plötzlich in die Knie gegangen sei, um den hier vergrabenen Gebeinen der Märtyrer Felix und Regula die Reverenz zu erweisen.
Auch wir haben eine Hirschfährte, bzw. Kirschfährte bis nach Zürich verfolgt. Die Pirsch nach den zuckerkrustenfreien Kirschstengeli, auf die mich ein paar Kommentare bei meinem Kirschstängelivergleich von letzter Woche gestossen haben.
Gleich nach der Grabstelle von Felix und Regula im Grossmünster und dem Schuhhaus „Inh. W. Gräb“ an der engen Rössligasse finden wir das zur Nummer passende Altstadthaus. Erst den Klingelknopf „J. W. Schwerzmann Kirsch-Stengeli“ drücken und den Wunsch nach Kirschstengeli in die Gegensprechanlage rufen. Geöffnet wird uns aber nicht von Frau Kirsch-Stengeli, sondern persönlich von der freundlichen Tochter des Erfinders, die zusammen mit ihrem Mann (und einer Handvoll Angestellter) nunmehr die Produktion (mehr als eine Million Stück pro Jahr) der Stengeli übernommen hat. Wir probieren uns durch das Sortiment. Frau L. trifft die Wahl, zwei Grosspackungen Kirschtengeli und Williamsstengeli. Ich zahle.

Zurück zu Karl dem Grossen. Felix und Regula gehörten der Thebäischen Legion an, die im 3. Jahrhundert in dem heutigen Saint-Maurice, wegen ihres Übertritts zum Christentum kollektiv den Märtyrertod erlitten. Beide konnten nach Turicum (Zürich) fliehen, wo sie aber von den Häschern des Maximinius erwischt, und ebenfalls hingerichtet wurden. Jahrhunderte später habe Karl der Grosse nach dem Kniefall seines Pferdes die Gebeine der Märtyrer heben lassen und zur Ehre der Heiligen die Kirche und ein Augustiner-Chorherrenstift über ihren Gräbern gestiftet.
Frau L. war danach zu kalt, wollte nichts mehr von Kultur wissen, sondern einen warmen Cappuccino im Schober geniessen. Trotz fleissigem Ausschauhalten nach links und rechts sind mir weder im Ober- noch im Niederdorf (dem Zürcher Amüsierviertel) weitere Heilige begegnet.

Zuhause dann die Prüfung der erlegten Beute. Im Unterschied zu den klassisch-französisch mit Zuckerkruste hergestellten Stengeli ist bei den Schwerzmannschen der Zucker/Kirsch-sirup in einer zylindrischen Schokoladenhülse eingesperrt. Die vermutetete Verschlusskappe ist sehr sauber eingesetzt, mit dem Vergrösserungsglas sind keine Verbindungsstellen erkennbar, obwohl die Hülsen nicht mit Kuvertüre überzogen sind. Der Kirschgehalt (Kirsch von Räber, Küsnacht) liegt mit 7 % etwas tiefer als bei jenen der Confiserie Krattiger, aber die krustenfreie Umhüllung hat auch was für sich. Kurz: Die Stängeli lassen sich schwer vergleichen. Beide haben ihre Vorzüge. Frau L. zieht die Schwerzmänner vor, ich liebe das Krachen der Krattiger.
