Ein-, zweimal im Jahr lasse ich mich zu einer Buchrezension überreden. Diesmal zu „Puntarelle & Pomodori“ von Luciano Valabrega aus dem Verlag Wagenbach. Aus der Serie schmaler, in rotes Leinen gebundener Bändchen, die sich so gut als Lesestoff für Bahnfahrten eignen. Erinnerungen werden wach an Bahnreisen mit „ROM“ von Luigi Malerba. „ROM, ROM“ von Pier Paolo Pasolini. „SIENA“ Eine literarische Einladung. „Ein ganz ausgefallenes Abendessen“ von Fernando Pessoa. Überredet.
Auch dieses neue Bändchen mit dem Untertitel „Die römisch-jüdische Küche meiner Familie“ ist eine literarische Einladung. Obwohl sich rund 100 Rezepte sowie Familienfotos aus den 40-er und 50-er Jahren in nur 135 Textseiten teilen müssen. Ohne Tellerbilder, ohne Mengenangaben, die Rezepte in ausholender Prosa.
Trotzdem ist es mehr als ein Kochbuch. Aus Angst, er könnte die guten alten Rezepte seiner Familie in Rom vergessen, begann Valabrega sie aufzuschreiben. Mit dem Festhalten der Rezepte vermischten sich kurze Geschichten und Anekdoten, Einkaufs- und Essensgewohnheiten aus den Kriegsjahren und der Nachkriegszeit. Eltern, Tanten, Cousinen, Onkel, Grosseltern, Lebensmittelhändler, Bäcker und Metzger treten darin auf. Handlungsorte der Erinnerungen sind u.a. die Wohnung, Küche und Werkstatt der Familie im Quartier (Rione) Campo Marzio, die Küche der Grosseltern im Trastevere, das Meerbad in Anzio, das Kino Altieri, die Bar Roma und die Synagoge im Rione St. Angelo.
Für eine kleinbürgerliche, jüdische Familie waren die Kriegsjahre nicht einfach zu überleben, wenn man sich über Monate mit Hilfe der Nachbarn vor Razzien verstecken musste. Harte Zeiten. Zeiten in denen die Menschen jedoch solidarisch zusammenrückten. Harte Zeiten, in denen Lebensmittel knapp, und kaum eine Wohnung mit einem Backofen ausgestattet war. Sonntags, wenn der Bäcker mit Brotbacken fertig war, nahm er gegen Entgelt die Bleche der ganzen Nachbarschaft in Obhut. Diese Art der gegenseitigen Nachbarschaftshilfe ist in der heutigen Wohlstandsgesellschaft leider selten geworden.
Charakteristisch für die römische Küche ist ihre Einfachheit: robust, herzhaft, unkompliziert, kein chichi. Ausgezeichnet vor allem durch die Qualität der Lebensmittel aus dem nahen und weiteren Umland (Latium, Umbrien und Marken). Eine Küche, die mit wenigen und ursprünglichen Zutaten auskommt. Salz und Pfeffer sind oft die einzigen Gewürze. Eine heute noch gelebte Cucina povera, wie ich sie liebe.
Manche der traditionellen Rezepte der römischen Küche im Buch sind (sicher nicht nur für mich) alte Bekannte, wie das bei einer Sammlung traditioneller Rezepte oft der Fall ist. Spezieller sind die mit einem * versehenen Rezepte. Auch wenn diese aus der römisch-jüdischen Tradition der Familie Valabrega stammen, ist niemand gezwungen, sich getrennte Pfannen und getrenntes Essbesteck für Milchiges und Fleischiges zuzulegen. Das Gekochte ist dann halt nicht ganz koscher, wie so vieles im Leben.
Der Autor folgt der klassischen Einteilung in Antipasti, Primi, Secondi, Contorni und Dolce. Die Rezepte sind mit grosser Liebe zum Detail beschrieben, ohne Massangaben. Die brauchts auch nicht. Ein paar Mal stolpert man über Sätze wie etwa „Salz und ein wenig Pfeffer vervollständigten das Werk, das dann der warmen Umarmung einer niedrigen, diskreten Flamme anvertraut wurde“. Das geht mit einem modernen, elektrischen Herd einfach nicht.
Ich habe zwei Rezepte aus dem Buch nachgekocht:
Involtini con il sugo
Zutaten
für 3 Personen, Mengenangaben und Vorgehen von mir bearbeitet
6 dünne Scheiben Rindfleisch für kleine Rouladen
6 hauchdünne Scheiben Rohschinken
2 Karotten
3 Sprosse Staudensellerie
1 Zwiebel
Olivenöl
Salz, Pfeffer
1.5 dl Weisswein
ca. 3 dl Tomatenpassata
1 Knoblauchzehe, fein gewürfelt
Zubereitung
(1) Karotten, Staudensellerie in grobe Julienne, Zwiebeln in feine Streifen schneiden. Alles in Olivenöl andünsten, bis das Gemüse gut riecht und leicht Farbe angenommen hat. Von Dünsten steht zwar nichts im Buch. Würzen.
(2) Fleisch erst mit Schinken, dann mit einem Liktorenbündel aus den Gemüsen belegen (das Beil lasse ich weg) und satt einrollen. Mit einem Zahnstocher fixieren.
(3) In Olivenöl rundum anbraten. Ablöschen mit dem Weisswein, stark einkochen. Tomatenpassata und Knoblauch zugeben, einige Zeit köcheln lassen, dann
„…deckt man den Topf zu und macht etwas anderes… Wenn uns die Gabel dann sagt, dass die Operation Roulade abgeschlossen ist, rührt man alles noch einmal um, schaltet das Gas aus und wartet auf die Essenszeit“.
Dazu servierte ich, obgleich eher als Vorspeise passend:
Melanzane al funghetto
Zutaten
1 Aubergine, violett (meine gestreift)
2 Elf. Olivenöl
wenig Wasser
Knoblauch
Salz, Pfeffer
Bergminze, Nepitella, Calamintha nepeta
Bergminze hatte ich natürlich keine. Aber ich fand Ersatz im eigenen Gärtchen: meine Kärntner Nudelminze. Die schmeckt ebenfalls würzig, ohne den aufdringlichen Mentholgeschmack üblicher Minzen.
Zubereitung
(1) Zutaten ausser der Aubergine in einer weiten, beschichteten Pfanne mischen.
(2) Aubergine würfeln und sofort in die Marinade legen, zugedeckt köcheln bis sie knapp gar sind (das geht rasch). Dann Deckel wegnehmen und fertig dünsten.
„Den Unterschied zwischen denen, die es zu Hause gab [mit Petersilie], und denen, die ich zubereite, macht die Bergminze“.
Puntarelle&Pomodori
Luciano Valabrega
© 2015 Verlag Klaus Wagenbach, Berlin
ISBN: 978 3 8031 1313 9
15,90 €
Das Buch wurde vom Verlag zur Verfügung gestellt.
Das Büchlein wäre für mich. Ich mag umschriebene Rezepte ohne Mengenangaben, denn sonst kommt der Laborant der Jugendjahre durch und will alles genau abwägen.
Über den Schinken wunderte ich mich, finde es aber sympathisch, wenn solche Dinge nicht zu ernst genommen werden.
Noch was: Gasherde sind hier populär und waren es auch in meiner Kindheit, möchte keine Glaskeramik mehr, Induktion mal testen.
Der Schinken ist im Büchlein als Option beschrieben (die ich -natürlich- sofort wahrgenommen habe). Jede Heizquelle hat ihre Vor- und Nachteile.
Sehr schönes Rezept! Normalerweise habe ich es eher weniger mit Rouladen, aber diese klingen fein. 🙂
eine deutsche Roulade mit Gurken schmeckt mir fast noch besser und ist ebenso vegetarisch.
“Salz und ein wenig Pfeffer vervollständigten das Werk, das dann der warmen Umarmung einer niedrigen, diskreten Flamme anvertraut wurde”. Schon allein dieser Satz wäre es wert, das Büchlein zu kaufen! Ich werd’s mir überlegen 🙂 Schade eigentlich, daß Du nicht mehr rezensierst….Du machst das immer meisterlich. Schönen Sonntag noch!
Ein Buch muss schon zu mir passen, sonst lass ich lieber die Finger davon.
Das ist ein Kochbüchlein nach meinem Geschmack. Mir gefallen Koch-Lesebücher, die mehr als nur Rezpete hergeben. Danke Robert, für die schöne Besprechung.
wobei zu ergänze wäre, dass der Rezepteteil überwiegt.
Ein schönes Rzept, ein schönes Buch. „Muss ich auch gleich haben“! Diese Rouladen/Involtini mit Gemüse-Füllung, einfach lecker. Die Besprechung des Buches macht Lust auf Kaufen & Lesen. LG
Gucks Dir erst an in einer Buchhandlung. Ambitionierten Hobbyköchen mögen die Rezepte zu einfach erscheinen.
D‘ Flaischveegel hän mi grad uflääbe lo, d‘ Aubergine hän denn mi Fraid wiider dämpft. I ha‘ s eifach nit mit dene.
I bi dra mi mit dr Induktionstechnik afo aazfrynde – nyt vo umarme und so … 😉
An die Induktion wirst Du dich gewöhnen. Geschwindigkeit ist manchmal auch ein Vorteil.
Das Buch sieht schön aus, gefällt mir. Bei den Rouladen müsste ich erst mal probieren 😉
etwas tomatig waren sie schon, aber man könnte auch Wasser zur Passata nehmen.
Delightful food! I love that eggplant dish.
Grüsse,
Rosa
Italienerinnen kochen mit Gas, so wie ich, da brennt halt noch das Flämmchen 🙂
Ich bin ja kein grosser Freund von involtinis, aber danke für die Bekanntmachung (für mich) der Salto-Reihe. Da sind ja einige Guststücke dabei und schon bestellt.