Essen wie Giuseppe Verdi. Ein Ausflug in die Vergangenheit. Der deine Aufmerksamkeit und Zeit beanspruchen wird. Allein der erste Akt kann bis zu 6 Wochen beanspruchen. Wer schon beim Wort Oper Magenkrämpfe kriegt, klickt sich besser weg.
Niemand mehr da? Auch gut! Dann kann ich so richtig nach Herzenslust loslegen!
Der Komponist wohnte lange Jahre mit seiner Lebensgefährtin und späteren zweiten Ehefrau, der Sängerin Giuseppina Strepponi, auf seinem Landgut Sant‘ Agata bei Busseto. Kulinarisch umsorgt von seiner emilianischen Köchin, die ihm, so ist es überliefert, den Risotto in den Nationalfarben Rot-Grün-Weiss servierte.
Das Lieblingsdessert von Giuseppe Verdi war ein Zuccotto Emiliano, ein klassisches, italienisches Dessert in der Tradition von Zuppa inglese, Cassata und Tiramisu, kuppelförmig geschichtet. Alchermes-getränkter Biskuit, Kakao. Anders als beim ursprünglichen, toskanischen Original, das auf die Medici zurückgeht, wird für die emilianische Variante anstelle von Ricotta eine Buttercreme verwendet.
Verdi starb 1901 in Mailand. Das Rezept wurde in der Familie der Köchin weiter vererbt. Heute führt ihr Urenkel, Antonio Albignani, in Sanzano (Nähe La Spezia) das Restaurant i Capitelli, wo der Zuccotto öfters auf der Speisekarte steht.
Und hier beginnt eine andere Geschichte: Weil Lucas Rosenblatt seine raren Ferien öfters in Ligurien verbringt und öfters in diesem Lokal essen geht und dabei öfters den Zuccotto bestellt… frug er den Wirt eines Tages nach dem Rezept. Dieser wiederum konnte dem Charme von Lucas nicht widerstehen, rückte das Rezept wider Erwarten heraus. Handschriftlich. Und so gelangte es letztlich zu mir. Lucas hat das Rezept auf seine Verhältnisse adaptiert. Ich auf meine.
Vor dem mise en place sich erst in Zuccotto-Stimmung bringen, sich Mut anhören. Generalprobe: Lautstärkeregler auf 110%. Mit der Arie „Vieni t’affretta! Accendere. Ti vo‘ quel freddo core!“.., und der cabaletta „or tutti sorgete…“
„Komm, eile! Ich will dein kaltes Herz entzünden! Ich gebe dir den Mut, die kühne Tat zu vollbringen!“
Jede Oper, die etwas auf sich hält, benötigt einen Zaubertrank, ein elisir d’amore, mit oder ohne Schierling. In unserm Dessert nennt sich das Elixir Alchermes. Was keine griechische Gottheit ist, sondern ein Likör der Medici. Ohne den geht gar nichts. Sein Name stammt von der farbstoffgebenden Cochenille-Schildlaus. Im Spanischen heißt die Laus Alquermes, im Arabischen al-quirmiz. Das Original, nach einem Rezept aus dem Jahre 1743, kann man sich von der berühmten Farmacia Santa Novella in Florenz kommen lassen (22€/1dl). Billiger gehts, trotz horrender Trinkspritpreise in der Schweiz, mit selber herstellen. Noch billiger von andern italienischen Likörfabrikanten. Da steht dann auf dem Etikett „spezie, con una sostanza rossa“. Diese geheimnisvoll kryptische Umschreibung deutet wohl auf E124, ein Azofarbstoff, wie im Campari. Fürs Selbermachen muss man jedoch 6 Wochen Geduld aufbringen. Vorher gibts weder etwas zu kochen und schon gar nichts zu essen. Während die Operntruppe weiter übt und singt, brauen wir aus Schildläusen den Likör. Bitte darauf achten, dass am Schluss für das mise en place noch etwas übrig bleibt. Danach gehts in die Pause und zum zweiten Akt.
Vorspiel /1. Akt: Alchermes

Alchermes. Rezept für 2 Liter
aus Paolo Petroni (Il grande libro della cucina toscana)
600 g Alkohol (Trinkspiritus, 96%)
10 g Cochenilleschildläuse getrocknet, keine Angst, die krabbeln nicht mehr (Bezugsquellen: Apotheken / Internet / Eierfarbenhändler)
10 g Zimt
10 g Koriandersamen
3 g Macis
10 g Karamomkapseln
4 g Gewürznelken
5 g Orangenabrieb
3 g Sternanis
1/2 Vanilleschote
600 g Zucker
10 g Rosenwasser
Vanilleschote klein schneiden, restliche Gewürze mörsern. In eine grosse Flasche geben, den Alkohol und 300 g Wasser zugeben, gut durchschütteln und Flasche verschliessen. An einem dunkeln Ort für ein paar Wochen stehen lassen. Die Flasche täglich rythmisch durchschütteln und kurz öffnen.
Danach den Zucker in 5 dl Wasser lösen, zugeben (jetzt wird er richtig karminrot) und nochmals einen Tag ziehen lassen. Anschliessend durch einen Kaffeefilter filtrieren, das Rosenwasser zugeben und der Alchermes ist fertig. Alchermes wird auch für andere italienische Desserts (zuppa inglese, tirami sù) verwendet.
Ausserdem besorgen wir uns noch ein paar Löffelbiskuits oder besser Savoiardi sowie weiche Amaretti, Eier, Kakao, Zucker und Butter. Dann sind alle Requisiten für den Zucotto vorhanden.
Nach diesem sechswöchigen Vorspiel in der Welt der Medici mit täglichem Likörschütteln im Rythmus der Verdi-Cabaletta haben wir eine zweite Arie zum Verschnaufen verdient:
La Traviata, Brindisi
„Libiamo, libiamo ne‘ lieti calici, che la bellezza infiora…“
„Auf, schlürfet in durstigen Zügen den Kelch, den die Schönheit kredenzt…“
wiederum mit der göttlichen Callas. Und dem etwas weniger göttlichen Francesco Albanese. Mit einem Glas Wasser in der Hand anzuhören! Alchermes wird nicht geschlürft, den benötigen wir anderweitig.
Endlich, endlich komme ich mal zu Alchermes, den auch ich für ein italienisches Dessert benötige: Zuppa inglese (engl.: Trifle).
Danke auch für die musikalische Umschreibung – habe grad den ganzen Macbeth (nicht nur „Vieni t’affretta!“) aufgelegt!
Bin gespannt auf den zweiten Akt.
Ein eigenartiger Likör, der durch nichts anderes ersetzt werden kann, auch wenn manchmal Kirsch, Rhum oder Slivovitz empfohlen werden. Das Rezept stimmt und liefert genau diesen Duft und Geschmack.
Hach, einfach wunderbar: Rezept, Geschichte und die Callas ja sowieso. Und bei la Spezia waren wir oft. Wie schade, dass ich da diesen Text noch nicht kannte! A presto, Sunni Schmidt
Die Dinger schmecken wirklich gut. Nun bin ich dran, die Sänger für den zweiten Akt zu engagieren. Eine gute Woche!
Hochinteressant!
Sit gschlagene guete zwai Stund surf‘ i im Internet zwische Restaurants in Sanzano, dr Härstellig vo dene Cochenilleschildlüüs in Südamerka und de Kochbiecher vom Signore Paolo Petroni umenand.
I bi wie dr Fel!x gschpanne uf d‘ Fortsetzig und wynsch dir/Eych e scheene Sunntig.
Danggschön glyychfalls. Immer wieder was völlig Neues. Das macht das Kochen so interessant.
Lamiacucinas Verdi-Festspiele! Toll!
Ich bin so richtig *angefüttert* für die folgenden Akte 🙂
(und Mme Callas hebe ich mir für später am Tag auf)
sonntägliche & herzliche Grüße…
🙂 nur ein Zweiakter mit ungewissem Ausgang. Euch beiden wünsche ich schöne Sommertage!
auch wenn ich kein opernfan bin — ich mache freudig mit an diesem sehr speziellen anlass. die erinnerungen an den zuccotto im „il duomo“ in teramo sind zwar sehr, sehr alt, aber köstlich. 👋🏼❤️🐝🐶
meist werden sie in einer grösseren Schüssel eingeschichtet. Die kleinen Förmli sind aber praktischer für Kleinfamilien.
ach wie herrlich, zum „nachbasteln“ würde mich noch die Konsistenz der Gewürze interessieren? Kommen die alle ganz rein, oder gemörsert, angröstet, oder gar z.T. gemahlen?. Vielen, vielen Dank für die immer wieder große Mühe! Ich lese sehr gerne hier und lerne so viel dazu.
gemörsert genügt, fürs Bild habe ich sie nicht zerkleinert. Sie werden ja dann lange mazeriert.
Eine unglaublich schöne Sonntagsgeschichte, vielen Dank und ich bin sehr gespannt auf den 2.Akt – vermutlich in 6 Wochen, wenn unser Likör fertig ist. Schöne Sonntagsgrüsse in die Schweiz.
Danke. Da ich immer hinterherhinke wirds keine 6 Wochen mehr dauern.
wieviel %ig sollte der Alkohol sein
volle Stärke, d.h. 96% wird später noch mit Wasser verdünnt.
Grazie, grazie mille, grazie di cuore, es ist immer ein grosses Vergnügen, über Ihre Entdeckungen im Reich der Küche zu lesen! Nun warte ich gespannt auf den 2. Akt…
Danke, es geht keine 6 Wochen mehr.