Aspromonte (1): Amendolea

Blumenwandern im Aspromonte. Eine organisierte Gruppenreise für 14 Botanikfreunde. Eigentlich nichts für mich, doch Frau H. schwärmte so vom südkalabresischen Nationalpark, dass ich mich anstecken liess. Wir wandern, die botanisch allwissende Reiseleiterin erklärt und übersetzt, die kalabresischen Ragazzi des lokalen Trekkingunternehmens organisieren: Wanderrouten, Unterkunft, Gepäck, Abendessen, Picknick, Birra, Vino, Caffè, Alles. Im angenehm modernisierten Schlafwagen werden wir nach Kalabrien gerollt. Kaffee inbegriffen. Ab Milano Centrale.

Ankunft in Villa San Giovanni am späten Morgen. Gegenüber werden wir von Messina und dem Aetna begrüsst. Transfer in das grekanische Bergdorf Pentedattilo (Pente Daktylos = fünf Finger) am Fusse des Nationalparks Aspromonte. Fünf hohe, weithin sichtbare Felstürme überragen das Dorf. Wie andere, strategisch gut gelegene Dörfer im Aspromonte, ist es eine griechische Gründung, die aus dem 7. Jhdt. vor Chr. datiert.

Die griechischen Ansiedler, auch spätere Zuzüger aus dem mittelalterlich-byzantinischen Raum, haben ihre Sprache über mehr als zwei Jahrtausende als Alltagssprache beibehalten und fast ausschliesslich oral weitergegeben. Das waren ja auch meist Hirten. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich daraus, vermischt mit Italienisch, ein eigenständiger Dialekt, das Grekanisch, herausgebildet, der von wenigen Einheimischen immer noch gesprochen wird. Wer der Altgriechischen Sprache mächtig ist, wird wohl einige Sprachfetzen verstehen können. Mit der Zeit wurden die Griechisch-Kalabrier zu einem vergessenen Volk in Italien und Europa. Den Bemühungen des deutschen Philologen Gerhard Rohlfs (1892-1986) um Erhalt und Verschriftlichung dieser Sprache ist es zu verdanken, dass das Grekanisch noch nicht ausgestorben ist.

Unwetter und Erdbeben verursachten in vergangenen Jahrhunderten schwere Schäden. Die Einwohner emigrierten an die Küste, der Ort entleerte sich. In den vergangenen Jahren wurden einige Häuser wieder restauriert.
Wir wandern um die 5 Felstürme herum in die Blumen. Unglaublich schön und berührend.

Nach dem Rundgang um und durch Pentedattilo Transfer mit dem Kleinbus in die Unterkunft, die Azienda agrituristica von Ugo Sergi in Amendolea. Umgeben von eigenen Plantagen mit Zitronen, Mandarinen, Orangen und vor allem (abgeernteten) Bergamotten.

Bezaubernder Blick auf Meer und die Fiumara Amendolea. Fiumare bilden tief in die Gebirge eingeschnittene Täler mit einer breiten Schotterebene. Fiumare werden nicht von Quellen gespeist, sondern leiten Regen ab. In der niederschlagsarmen Zeit sind sie meist ausgetrocknet, können sich aber bei starkem Regen in reißende Gewässer verwandeln.

Nach einem Picknick und als Einstimmung klettern wir gefühlte 400 Meter hoch auf die Ruinen von Alt-Amendolea, auch das eine griechische Gründung. Die Tafeln sind hier oft 3-sprachig angeschrieben: Oben Grekanisch. Mitte Italienisch. Unten Neugriechisch.

In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts war die Apenninenhalbinsel politisch zersplittert. Nach der Einwanderung der Langobarden blieben Apulien, Kalabrien und Sizilien zunächst noch unter byzantinischer Herrschaft, doch konnten die Byzantiner die Einwohner nicht vor den ab dem 9. Jhdt. zunehmenden, arabischen Einfällen schützen. Da weder die römisch-deutschen Kaiser noch die oströmischen Herrscher wirksamen Schutz vor Einfällen der „Sarazenen“ boten, griffen die lokalen Machthaber zur Selbsthilfe. Sie nahmen normannische Söldner in ihre Dienste (Pilger, nicht erbberechtigte Söhne, Glücksritter und sonstige Abenteurer). Die Söldner aus dem Norden nutzten das Machtvakuum aus und begannen sich dauerhaft zu etablieren, begannen eigene Herrschaftsbereiche aufzubauen.

Der Ursprung der Burg Amendolea liegt in der normannischen Zeit; die Gründung wird Richard von Amendolea, einem Normannen, zugeschrieben. Die Burg wurde im 13. Jahrhundert auf Anordnung von Friedrich II. (der Staufer) zerstört. In den folgenden Jahrhunderten wurde sie wieder aufgebaut, war Zankapfel zwischen lokalen Adelsfamilien (u.a. Amendolea und Ruffo). Nach dem Ende der Feudalzeit 1806 verfiel die Burg.

Gemeinsames Abendessen mit den Ragazzi in der Azienda: Salat, Gemüsefrittata, Catalognagemüse, Parmigiana di Melanzane, Peperonata. Wasser (volles Glas) und roter Gaglioppo (leeres Glas).

wird fortgesetzt.

44 Kommentare zu „Aspromonte (1): Amendolea“

  1. Uhi, die Blumen und Landschaften ein Traum, Gruppenreisen nie, nie, nie! Aspromonte immer. Herzlich, Sunni

    1. Das war meine erste Gruppenreise. Alles nette Teilnehmer. In der rauhen Wildnis des Aspromonte zu wandern, benötigt schon Ortskenntnisse. Das musste ein gleichzeitig anwesendes deutsches Ehepaar erfahren, das sich verlaufen hatte und eine kalte Nacht im Freien zubringen musste, bevor es nach einer Suchaktionen aufgefunden wurde.

      1. Ok, sowas kann passieren, wenn man sich in unbekanntem Gelände zu weit wagt. Ich habe durch den Beruf immer und täglich mit Hunderten Menschen zu tun gehabt, daher meine Abneigung gegen Gruppen auch noch in der Freizeit. Und mir persönlich- ganz persönlich- wäre das Wagnis viel zu groß, denn wer kennt schon die Zusammensetzung? Wir sind Einzelgänger zu zweit. Es hat uns an jedes Ziel gebracht in 14 Ländern und mit nicht immer perfekten Sprachkenntnissen, auch in abgelegensten Tälern, Wäldern und auf Berggipfel. Zum Teilen der Schönheit und der Anstrengung reichte mir immer mein Gefährte. Aber sicher kann es auch andere, gute Erfahrungen geben….Wie schön, dass es gut ausging.

        1. es ist auch mal schön, nicht andauernd irgendetwas organisieren oder beschaffen zu müssen, sondern sich einfach in die Ferien fallen lassen zu können. LG

        2. Dafür gibt es heute das GPS für in die Hosentasche, damit findet man auch in einer fremden Stadt sein Auto wieder.

          Meine Sammlung ital. 1:25’000 Karten aus den 80er Jahren habe ich vervollständigen können im Internet und die 1:25’000 IGM-Karten für sämtliche Regionen kostenlos herunterladen können. (Nur etwas im Friaul fehlt) Alles Riesendateien und das kostenlose Leseprogramm ist etwas (sehr) umständlich, zeigt aber im Fadenkreuz gleich die UTM-Koordinaten mit an. Wenn ich etwas genau wissen will, muss ich mir die Arbeit machen und da nachsehen.

      2. Dafür gibt es heute das GPS für in die Hosentasche, damit findet man auch in einer fremden Stadt sein Auto wieder.

        Meine Sammlung ital. 1:25’000 Karten aus den 80er Jahren habe ich vervollständigen können im Internet und die 1:25’000 IGM-Karten für sämtliche Regionen kostenlos herunterladen können. (Nur etwas im Friaul fehlt) Alles Riesendateien und das kostenlose Leseprogramm ist etwas (sehr) umständlich, zeigt aber im Fadenkreuz gleich die UTM-Koordinaten mit an. Wenn ich etwas genau wissen will, muss ich mir die Arbeit machen und da nachsehen.

  2. das macht mi richtig glüschdig.Wenns gut geht sind wir in 4 Wochen da.Viel Spaß noch .Grüße aus Ulm

  3. ich hab mich nicht umsonst gefreut! So wunderbare Blütenteppiche und spektakuläre Ruinen sieht man nicht oft. Vegetarisches Essen und offenbar feinen Wein gab es auch noch. Vielen Dank für die Augenweide und liebe Grüße

    1. Während der Zugreise befürchteten wir, dass die Vegetation noch stark zurückgeblieben sei. Das traf glücklicherweise nur teilweise zu. Herzliche Grüsse.

    2. Ich kenne Calabrien (fast) gar nicht, bin aber mehrere Male, als die Autostrade in der Neuanlage war (2002 bis 2017) von der Autobahn herunter geleitet und durch die Landschaft gefahren. Ich habe gestaunt über die Sila (Sila grande, Sila Graeca und Sila piccola) menschenleer und man glaubt, man ist im Schwarzwald, nur der wolkenlos blaue Himmel und die hohen Sommertemperaturen passen nicht zum Schwarzwald und es fehlen (?) die Kuckucksuhren.

    1. Oh. Aus dem Paradies Aspromonte in den kalten Norden. Gut, dass das italienische Bahnnetz heute schnell und zuverlässig funktioniert. Die Schweizer Bundesbahnen können von den trenitalia lernen.

  4. ach wie schön, erinnert mich die Milano wo ich gelebt und gearbeitet hab und jedes Weekend mit meinem Lebensgefährten im Passat das Land und Leute besuchten, Hauptsache Raus aus der Großstadt, immer ans Meer, aber eben auch der Brenta, mit dem Boot entlang im August und dort am Fest del Unita, die besten Lammkoteletts und diesen fantastischen ehrlichen Rotwein unter Fremden Freunde gewonnen haben wir übernachteten in einem Hostel, in einem Kloster, mussten deshalb bis spätestens 22h , der Schwester Oberin den Schlüssel abholen,

  5. sieht alles lecker aus aber würde mich von der Menge her extrem überfordern:)

  6. in die wunderschöne blumenwiese und an den gluschtig gedeckten tisch würde ich jetzt gerne sitzen……
    👋🏼❤️🐝👑🐶

    1. Wenn du deine Burg mit einem Dach und fliessend k/w Wasser versehen könntest, schlagen wir unsere Zelte künftig bei Dir auf.

  7. das klingt wunderbar und ich freue mich schon auf Rezepte aus dem italienischen Süden
    Gila

  8. Ach, welch ein herrlicher Beitrag, so richtig um „gluschtig“ zu machen. Und erst die fabelhaften Bilder!

  9. Ein toller und inspirierender Bericht! Blumen und Essen sehen köstlich aus. Wir werden bald auf den liparischen Inseln verweilen. Aber ich weiß glaub ich schon, wohin der nächste Urlaub führt!

  10. Wunderbare Bilder, bin ganz neidisch auf die Blumen und auf das was auf den Tisch kam. Bei Gruppenreisen die mit Natur und wandern zu tun haben, sind meistens nur nette Leute. Wir haben mit Studiosus viele viele Wanderreisen gemacht und waren immer begeistert und in angenehmer Gesellschaft. Freue mich auf den nächsten Bericht.

  11. Diese Blütenpracht ist unglaublich! Das hätte ich nicht gedacht, dass in so kargen Regionen so viele Blüten zu finden sind. Danke fürs Mitnehmen.

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