Cascades du Hérisson: Abseits des Doubs (31)

Zurück aus Freiheit und Selbstbestimmung in die Tretmühle des Internets. Das Headerbild zeigt die Krone der Gefängnismauer von Lons-le-Saunier. Denn dort war ich Ende Juli nochmals. In der Stadt, nicht im Gefängnis, wiewohl man sich die Frage stellen könnte, ob in einem internetfreien Raum, wie ihn das maison d’arrêt oder ein Kloster bietet, eine andere Art von Freiheit existieren könnte. Müssige Gedanken. Direttissima bis Besançon. Kurz danach hinab zum Doubs. Freudiges Wiedersehen mit dem Fluss morgens um Neune.

Doubs bei Fraisnans

Danach gemächlich südwärts nach Lons. Parken beim Maison d’Arrêt. In der Klosterkirche der Franziskaner (église des cordeliers) liegen die Gräber und Gebeine der Familie Chalon. Für Touristen leider unzugänglich. Also nichts wie raus. Lassen wir dem edlen Geschlecht die ewige Ruhe und wenden uns dem Leben zu: Vis-à-vis eine schöne Haustüre mit der Lieblingshausnummer 22. Daneben locken Schönheiten für die Restauration von Nägeln, Teint und Lippen. Kein Bedarf.

Lons-le-Saunier: Haus Nr. 22

An einer Hauswand präsentiert ein junges Graffito-Mädchen selbstbewusst die Lösung ihrer Mathe-Aufgaben an der Wand. Toll.

Lons-le-Saunier, Graffito

Doch mein Ziel sind die hübschen, kleinbäuerlichen Winzerhäuschen in der Rue de Balerne hinter der Comédie. Die vielen Rebmesser (Hippe, Gertel) in den Türstürzen (schon wieder die Nummer 22!) zeugen davon. Lons gehört zu den Côtes du Jura, wenngleich der Weinbau im Stadtgebiet heute keine Bedeutung mehr hat.

Lons-le-Saunier, Rue de Balerne Nr. 22
Lons-le-Saunier, Rue de Balerne, Pariserbrunnen

Unerwartetes Wiedersehen mit dem Pariserbrunnen aus der Zürcher Bahnhofstrasse. Die meisten dieser teils noch erhaltenen Brunnen stehen in Paris. Sie wurden nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 von dem englischen Mäzen Richard Wallace gestiftet, um armen Menschen Zugang zu trinkbarem Wasser zu verschaffen, da die Wasserversorgung durch die Zerstörungen des Kriegs teilweise unterbrochen war. Die vier gusseisernen Karyatiden verkörpern Einfachheit, Güte, Nüchternheit und Nächstenliebe. Heiss ist es heute 35°C. Doch der Brunnen spendet kein Wasser.

Mich ziehts zum Wasser. Erst an den berühmten Aussichtspunkt „Belvédère des quatre lacs“. Es sind tatsächlich 4 Seen, von mir nachgezählt, doch der Versuch, mich mit allen Vieren auf einem Bild abzulichten, misslang. Mein Arm war zu kurz.

Danach in die schattig-kühle Schlucht der Hérisson-Wasserfälle. Eine imposante Schlucht mit 7 unterschiedlich hohen Wasserfällen und einer gesamten Höhendifferenz von 250 Metern. Die Franzosen feiern Ferien, Corona-bedingt im eigenen Land und viele mit derselben Absicht wie ich. Ich begann die Wanderung von oben, weil ich schon oben war. Die einheimischen Touristen, ganze Familienverbände, unter Masken hochkeuchend, meist von unten. An den vielen Engstellen ist gleichzeitiges Passieren nicht möglich. Warten bis die Familien alle Kinder über die Felsstufen der Schlucht hochgewuchtet haben. Warten, die Grossmutter will auch noch hoch, Warten auf den Nachzügler mit dem Essen und den Campingstühlen. Die ganze Schlucht ein Picque-nique Platz. Im Hochsommer führen die Gewässer der Karstgebirge wenig oder gar kein Wasser. Ich hätte es besser wissen müssen.

Zuoberst, am Saut Girard, dem Beginn meiner Wanderung, tropfen die letzten Tropfen hör- und sichtbar aus dem Fels.

Weiter unten, am Saut de la Forge reicht das Wasser gar für ein dünnes Rinnsal.

Saut de la Forge
Gour bleu

Der 60 Meter hohe Grand Saut war trocken. Ich ersparte mir den weitern Abstieg in die Tiefe, musste ja bei der Hitze wieder rauf, und brach die Übung ab. Gerne nochmals, aber ausserhalb der Feriensaison im März nach der Schneeschmelze.

Le Grand Saut, 60 Meter tief

Die Heimfahrt führt mich über den Ain bei Pont-du-Navoy Richtung Poligny und Arbois. Der Ain übernimmt übrigens das Wasser des Hérisson und mündet Nähe Lyon in die Rhone. Alle Wasser führen zum Meer. Das Leben hat mich wieder.

Pont du Navoy aus dem 18. Jahrhundert

24 Kommentare zu „Cascades du Hérisson: Abseits des Doubs (31)“

  1. Wunderschöne Gegend, wunderschöne Fotos. Danke. Interessant ist die Geschichte der Pariser-Brunnen. Ich hoffe, es gehe Frau L. und Dir entsprechend gut. Alles Beste wünsche ich Euch.

    1. wie so vielemale bin ich auch hier erst zuhause auf die Geschichte der Brunnen gekommen. Frau L. ist immer unter Obhut, wenn ich mal einen Tagesausflug unternehme. So oft ist das ja auch wieder nicht.

  2. Das Internet ist nicht nur Tretmühle, sondern bietet gelegentlich auch eine überraschende Erfrischung! So, wie diesen Beitrag. Vielen Dank fürs Teilhabenlassen an diesem wunderbaren Ausflug!

  3. wunderschön-jetzt sind die wälder wieder still. man findet gebrauchte masken statt pilze…..
    einen schönen tag und ❤️dank 👋🏼🐝👑🐶

  4. Da würde man (ich,w.) gern mitkommen. Schöne Bilder mit toller Beschreibung. Da stellt sich mir immer die Frage: was tu ich noch hier?

  5. welch vergnügen, lieber herr sprenger, ihrer fährte zu folgen. vertraut in blick und sprache! vorzüglicher wirklichkeitsersatz für eine doubsophile städterin, coronabedingt reisezögerlich. dank und gruß!

    1. hoffen wir, dass es nach der coronabedingten Pause noch zu ein paar weiteren Ausreisen vor Einbruch des Winters reicht. Grüsse nach Wien, dahin dürfen wir nur noch mit Quarantäne hin.

  6. Einen Ausflug mit der Tochter und ihrem Freund aus Zürich, welche beide in Berlin leben nächstes Frühjahr, werde ich denen als Weihnachtsgutschein schenken!

  7. Das Internet verschafft mir einen wunderbaren Bericht über deine neueste Doubs-Eroberung. Ein Grund zur Lobhudelei! Wie schön, dass du deine Erlebnisse wieder mit uns teilst.
    Herzliche Grüße nach Basel

  8. Liebe Issy

    Da kommen Erinnerungen hoch und die Erkenntnis, dass wir noch lange nicht alles gesehen haben und wir die Guide Vert schon nochmals hervorkramen könnten.

    Lieber Gruss aus dem schönen Oerlikon Prisca

    1. niemand kann sich rühmen alles gesehen zu haben. Ich Nesthocker schon gar nicht. Aber ich bemühe mich, die nähere Umgebung im 1-Tagesradius zu erkunden.

  9. Wie schön! Robert wieder unterwegs und sogar im Bild! 😊
    Schön, dass das Leben dich wieder hat und du deine Ausreise in Wort und wunderschönen Bildern mit uns teilst.
    Liebe Grüße an euch zwei
    Eva

  10. Obwohl selbst Tiroler begleitet mich der Doubs oder das Doubs auf sehr befriedigende Art und Weise seit gut vierzig Jahren! Und die letzten zwei Jahre wieder ganz besonders.
    Danke für die Neues eröffnende Serie Serie darüber, Danke aber auch für die wunderbar geschriebenen Beiträge insgesamt!

  11. Oh, ich bin sehr froh zu sehen, dass da wieder jemand unterwegs war. Unter erschwerten Bedingungen zählen alle Eindrücke doppelt, und Freude solcher Art in der Natur hilft über die nächsten Lebensklippen. Herzlich, Sunni

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