Aufwisch im Piemont

Letzter Eintrag 2023 in meinem Reisetagebuch. Von der Maremma herkommend, blieben wir Ende Oktober noch 4 Tage im Piemont hängen. In Novello, im selben airbnb wie letztes Jahr. Wunderschöne Lage. Aus den südlichen Alpe marittime grüsst der über 3800 m hohe Monviso mit einer Schneedecke, während sich im Vordergrund der Fiume Tanaro langsam durch das Tal schlängelt.

Natur, Reben und Haselnüsse rund um unser Häuschen.

Das folgende Mittagessen in der Osteria Veglio in La Morra hatte ich diesmal reserviert, nachdem vor einem Jahr alle Plätze ausgebucht waren. Deshalb konnten wir gemütlich am „Le Brunate“ Weinberg der Familie Ceretto vorbei nach La Morra tuckern. Hier steht die 1912 erbaute „Capella della Madonna delle Grazie“ die damals als Kantine für die Arbeiter in den Rebbergen erbaut wurde. Ora et labora. In den siebziger Jahren kaufte die Familie den Rebberg samt der inzwischen verfallenen Capella, liess sie renovieren und durch die beiden Künstler David Tremlett (innen) und Sol LeWitt (aussen) neu gestalten. Dem amerikanischen Konzeptkünstler LeWitt gelang es damit, ein neues Wahrzeichen im Gebiet des Barolo zu schaffen. Heute wird sie nur noch nach dem Wein, Barolo- bzw. Le Brunate-Kapelle benannt.

In dem kleinen Weiler Annunziata findet man vor der Osteria Veglio die Gebäude eines ehemaligen Benediktinerklosters mit romanischen und barocken Elementen aus dem 15. bis 17. Jahrhundert. Heute sind darin einerseits die Chiesa della Santissima Annunziata, ferner ein Weinmuseum untergebracht. Uns interessierte aber nur noch das Mittagessen in der Osteria.

Herbstliche Gemüse auf Pastinakenpüree für Frau H.

Der im Ofen gebackene Wirsing, gefüllt mit Salsiccia di Brà und Kürbiscreme für mich.

Spinat-Ricotta-Ravioli mit Salbeibutter für die Dame in Grün. Agnolotti al plin im Bratenjus (Rezept siehe hier) für mich.

Die Osteria Veglio bietet eine traditionelle, ausgezeichnete Küche mit modernem Einschlag und grosser Weinauswahl. Empfehlenswert.
In La Morra liegt auch unser nächster Lebensmittversorger, der Supermercato Borello. Hier lässt es sich leben.

Weil das Wetter so schön mitspielte, wanderten wir am späten Nachmittag von Novello nach Barolo und zurück. Blick auf Barolo.

Das ursprüngliche Schloss wurde im 10. Jahrhundert als Befestigungsanlage erbaut und im Lauf der Jahrhunderte unzählige Male verändert, erweitert, wieder aufgebaut oder restauriert. Ab dem 13. Jahhundert gelangte das Schloss in die Hände der Familie Falletti. Es diente vielerlei Zwecken, meist war es feudaler Wohnsitz. Seit dem Tod der letzten Nachkommen 1864, verwaltet eine gemeinnützige Stiftung das Familienvermögen. So diente das Schloss bis 1958 als religiöses Internat und schliesslich als Museum mit Sälen in der Originalausstattung des 19. Jahrhunderts. Zudem beherbergt es das Weinbaumuseum des Barolo, eine Sammlung ethnografischer und önologischer Objekte über den Weinbau in den Langhe. Jede Nutzung hinterliess ihre architektonischen Spuren.

Abendstimmung am Bussia-Rebberg.

Am Samstag wollte ich, einmal im Leben, an die Trüffelmesse in Alba. Das war keine gute Idee, aber nicht anders zu machen. Die endlos lange Via Vittorio Emmanuele vom Domplatz bis zum Piazza Michele Ferrero ein riesiger Kleiderladen. Durchkommen nur im Einbahnverkehr.

In den Messebauten an derselben Strasse trafen wir dann auf die dem heiligen Trüffel geschuldete Ruhe.
Ob Trüffel-Grosshändler oder…

Trüfel-Klfeinhändler: Die Preise waren (mir) zu hoch. Und meinen Hut hatte ich ohnehin nicht dabei.

Beifänge, wie Nocciole, Dolci, Salumi und Vino ergänzen das Angebot.

Gelangweilte Besucher, die sich überhaupt nicht um Trüffel interessierten.

Mittags, wie schon letztes Jahr, Essen bei Giuseppe und Francesco d’Errico im Madernassa. Wenn wir schon einmal hier sind. Obwohl mich eine einfache, köstliche regionale Küche ebenso begeistert, lasse ich mich von den Ideen der Topchefs immer wieder gerne faszinieren. Hier vom grossen Menu in 9 Gängen „à mano libera“ ein paar Beispiele:

Insalata verde: Grünzeug und erfrischende Sphären, begleitet von einem Gurken/grünem Apfelsorbet an Olivenöl-Dill-Vinaigrette. Harmonie und Präzision sorgen für das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Elementen. Dennoch sind die einzelnen Zutaten gut zu unterscheiden.

Mare Nostrum: Calamaretti und Cannolicchi (kleine Schwertmuscheln), die mit leicht geräuchertem Rindermark, Tapiokachips und schmackhaften Kräutern und Seefenchel kombiniert sind. Serviert an einer Beurre blanc mit Salicorneextrakt: alles in einem unglaublichen Gleichgewicht, ein Spaziergang am Meer.

Ciocciola: Ein Ravioli, wie ich es noch nie gesehen habe. Gefüllt mit Robiola di Roccaverano, einem piemontesischen Weichkäse, dazu eine Tomatenessenz, welche die Komplexität und die Aromen der reifen Tomate in einer konzentrierten Brühe festhält.

Sim-Sim: ein zartes, in Speck eingewickeltes Rehfilet zusammen mit geräucherter Aubergine, mit Orangenschale parfumiert, dazu eine Sim-Sim-Sauce auf der Basis von gerösteter Sesampaste kombiniert mit orientalischen Aromen, süssem Sake, weissem Miso, Ingwer und Knoblauch.

Dazu ein Glas gereifter Barolo 2012

Collisioni: das Pré-Dessert, süss-saurer Kürbis mit Pistazien-Ganache, Cassis-Gelee, fermentiertem, schwarzem Schalottensorbet, Erdbeermarinade mit Pedro Ximenez Sherry-Essig und Schnittlauchöl. Ein Kaleidoskop von Aromen.

Genug von Sterneküche. Sonntags war wieder Hausmannskost an der Reihe. Sonne vorbei. Burgen- und Kirchentour. Hier die Chiesa San Lorenzo in Castiglione di Falletto. Ein merkwürdiges Mischmasch aus romanischem und neogotischen Stil aus dem Jahre 1893. Sehenswerter das daneben stehende, in Privatbesitz befindliche Castello Castiglione, eine mächtige Burg aus dem 12. Jahrhundert.

Besser zugänglich ist die Mitte des 14. Jahrhunderts von der Familie Falletti aus Barolo erbaute, mittelalterliche Wehrburg in Serralunga d’Alba.

Pünktlich zur Heimreise am Montag begann es wieder zu regnen. Kleiner Pipihalt um 11 Uhr unter dem (kaputten) Regenschirm für die Hunde in Aosta. Letzte Gelegenheit, ein Stück Fontina zu ergattern. Dazu benötigten wir Brot. Auf dem Weg zum Käseladen stolperten wir über einen kleinen Brotladen: Altamura Pizza and Bakery Concept, an der Piazza Roncas. Die Auslagen waren noch leer, wartende Kundinnen, dazu die abschreckende Wirkung des hybriden Anglitaliano. Wieder raus&weiter. Auf dem Rückweg -immer noch auf Brotsuche, in Sachen Brot sind wir anspruchsvoll- betraten wir das Lokal erneut. Faszinierender Duft nach mit lievito madre gebackenem Brot. Indessen liegen die Laibe in der Auslage. Die Pizzen sind noch im Ofen und kommen eine Viertelstunde später. Für mich die Pizza mit einheimischer Kalbswurst und Cime di Rapa. Für Frau H. jene mit Kürbis und Stracciatella. Dazu ein Riesenlaib Brot. Wortreich empfohlen von den wartenden Kundinnen. Künftig gibt es für uns in Aosta nicht nur Pipihalt sondern Pizzapflichthalt.

Genug gereist. Zuhause ist es auch schön. Happy New Year!

32 Kommentare zu „Aufwisch im Piemont“

  1. Schönen Dank für all die kulinarischen Impressionen durch das alte Jahr. Mit den besten Wünschen für ein insprierendes, wohltuendes Neues Jahr. SonnigeZueriGrüsse

  2. Herzlich gelacht über stramme Waden in Netzstrümpfen und wieder Sterneessen bewundert!
    Vielen Dank für die immer wunderbaren Berichte.
    Alles erdenklich Gute für euch 2 in 2045

    1. Danke. Mal sehen, ob uns das neue Jahr die eine oder andere Ausreise bringt. Wir wünschen euch ein glückliches und gesundes neues Jahr. Möge es euch viele schöne Momente bringen.

  3. Den armen Zuhausegebliebenen läuft das Wasser im Mund zusammen…, nicht zuletzt wegen der kunstvollen Fotos und den vorzüglichen Texten.

    1. In die Lage der armen Zuhausegbliebenen kann ich mich aus eigener, langjähriger Erfahrung sehr gut einfühlen. Manchmal geschehen Wunder, die einen hohe Berge überwinden lassen.

  4. Es ist fast, als sehe man selbst persönlich all die wunderschönen Landschaften und uralten Gebäude, als sitze man neben Ihnen im Lokal und genieße das tolle Essen….Was für ein Reisejahr für Sie Beide! Möge es noch viele Jahre so weiter gehen! Happy New Year!

    1. Das Reisejahr war das Stillen eines grossen Nachholbedarfs. Dass das nicht mehr lange anhalten kann, liegt auf der Hand.
      Auch ich wünsche Ihnen ein gutes, möglichst gesundes, neues Jahr.

  5. Danke lieber Robert für deine immer wieder interessanten Beiträge.
    Ein gutes neues Jahr mit allem was dazugehört…Liebe Grüsse Manfred…🌱🙏

  6. Besten Dank für die schönen Beiträge auf diesem Kanal. Es macht immer Freude mitzulesen und Anregungen für die eigene Küche zu übernehmen.

    Im Piemont hätten wir uns im Herbst fast getroffen. (https://www.leibspeisen.net/post/rund-um-la-morra). Hier unser Beitrag aus dem Herbst… Wir wohnen i.d.R. allerdings in Mango/Neive.

    In der Osteria V. sind wir letztes Jahr auch nicht unter gekommen und der Auftritt von Frau K. hat sich auch deutlich verändert im Vergleich zu den ersten Jahren. Wir haben es dieses Jahr gar nicht mehr versucht. (…..was uns die Einheimischen so berichteten).

    Die Entwicklung bei den Winzern geht leider auch in die falsche Richtung: (https://www.leibspeisen.net/post/bar-storico-serralunga). Noch gibt es gute und kleine Erzeuger jenseits von Gaja und den anderen. Aber die Liste wird kürzer.

    Alles Gute für 2024 und vielleicht sehen wir uns ja mal in der Regio.

    Gruss aus Lörrach
    J. Dillmann

    1. Wo der Wein mit Gold aufgewogen wird, darf man sich nicht wundern, wenn man als Kleinkunsument in den Produzentenkellern kein Gewicht auf die Waage bringt. Ein gutes, neues Jahr.

  7. Lieber Robert,
    immer schön, von Dir zu lesen! Danke für die wunderschönen Fotos und dass wir virtuell mitreisen dürfen.
    Im Piemont waren wir 2015 mal für eine Woche; auch auf der Trüffelmesse und auch mit Beifang und wenig Trüffeln. Wunderschöne Gegend, so viele Haselnüsse und Weinberge und Kultur usw.
    Alles Gute für 2024, weiter Zeit für Reisen und Genuss und viel Gesundheit!
    Liebe Grüße
    Barbara

    1. Liebe Barbara, Die wünsche ich „Zeit und Lust und Energie, um wieder regelmäßiger zu bloggen“. Aber auch Gesundheit und Glück, unabdingbare Voraussetzungen dazu. Herzliche Grüsse, Robert

  8. Bin gerne mitgereist und hätte auch gerne mitgegessen.War alles nach meinem Geschmack. Auch für das Jahr 2024 alles Gute, Gesundheit für weitere Reiseerlebnisse.

    1. Wir sind ja alle zuversichtlich, dass uns das neue Jahr vor keine unlösbaren Probleme stellen wird. Und notfalls entwirren wir auch unlösbare Knoten.
      Alles Gute im neuen Jar.

  9. Alles Gute für 2024! Ja Aufschreiben hilft gegen die Vergesslichkeit, das kann ich nur bestätigen. Ich reise in deinem Blog virtuell gerne mit und denke immer noch an die Anfangstage des Bloggens – Fress:Publica – zurück.

    1. oh ja, das waren noch schöne, unbeschwerte und übersichtliche Zeiten. Heute kann man sich vor den social media nur noch retten, indem man alles ignoriert. Dein Blog ist noch einige Monate älter als der meine. Das 20-Jahr-Jubiläum sollten wir alle feiern!
      Liebe Grüsse, Robert

  10. Sie machen wirklich schöne lebensfrische Bilder. Dies ist neben Ihrer freundlichen Art, das Leben in den Texten zu umschreiben, ein zutiefst menschliches Entgegenkommen und trägt mit dazu bei, Hoffnung zu verbreiten. Ein glückliches, frohes neues Jahr.

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