Archiv der Kategorie: Besuch in..

CH-2900 Porrentruy: vor und an Martini

Die kleine Stadt jenseits der Jurahügel ist für uns immer wieder einen Besuch wert: wenn der Renault von Frau H. zum Doktor muss oder wir uns in der geschätzten Chocolaterie & Patisserie Nora Mario Piccina an süssen Köstlichkeiten trösten müssen. Pruntrut bietet eine hübsche, gut erhaltene Altstadt mit barocken Bürgerhäusern, beherrscht vom Schloss von Porrentruy, der ehemaligen Residenz der Basler Fürstbischöfe. Unter dem Jahr wirkt die Altstadt eher verschlafen und leer. Doch an St. Martin erwacht sie zum Zentrum des Kantons.

In Verdrehung eines Zitates von Bertolt Brecht „Erst kommt die Moral, dann kommt das Fressen“ schrauben wir uns vor lange vor Martini erst auf den Schlosshügel. Gute Kondition empfohlen.

Der Ausgang des fast endlosen Treppenhauses mündet in den Schlosshof.

Vom Schloss aus bietet sich ein guter Überblick auf Stadt und die Jurakette.

Der ursprünglichste Teil des Schlosses ist La Tour Réfous (der Rufusturm), ein runder Bergfried, der 1271 erbaut und auch während der Belagerungen im dreissigjährigen Krieg nie zerstört wurde.

Das heutige Schloss und seine Nebengebäude stammen grösstenteils aus der Zeit nach der Reformation 1524, als die aus Basel vertriebenen Prälaten und der Fürstbischof sich auf ihre Besitztümer zurückziehen mussten. Unter Fürstbischof Jakob Christoph Blarer von Wartensee, der 1575 bis 1608 regierte, erlebte die Stadt eine Blütezeit. Das Schloss wurde renoviert und ausgebaut, ein Jesuitenkollegium, Kirchen und ein Spital gegründet.

Die relative Idylle endete jäh mit dem Ausbruch des 30-jährigen Krieges, während dem Pruntrut mehrmals belagert, besetzt und geplündert wurde. Danach erholte sich das Städtchen langsam wieder. Das Ende der Fürstbischöfe in Pruntrut kam mit der Französischen Revolution. Der letzte Fürstbischof wurde 1792 aus seiner Residenz vertrieben. Die Ajoie wurde von Frankreich annektiert und die raurachische Republik ausgerufen. Nach Napoleons Niederlage wurde das Fürstbistum 1815 dem Kanton Bern als Kompensation für die 1803 «verlorene» Waadt zugesprochen.

Wie das Schloss früher einmal ausgesehen hat zeigt ein rekonstruiertes Modell in der Schlosskapelle:

Blick von der Stadt auf den Rufusturm.

Der Tour de Coq mit dem Hahn und dem Wappen der Fürstbischöfe:

Das Museum de l’Hôtel-Dieu befindet sich in einem ehemaligen Krankenhaus aus dem 18. Jahrhundert, einem der schönsten historischen Gebäude in Porrentruy. Es zeigt historische und künstlerische Exponate zur Rettung des jurassischen Kulturerbes. Besonders sehenswert sind die alte Apotheke und der Kirchenschatz.

Die ehemalige Apotheke des Krankenhauses, Bildausschnitt © Elena Franco

Wie ruhig das Städtchen vor St. Martin wirkt:

Die Porte de France:

Ende Baukultur. Seit Oktober liegen unsere Äpfel als Apfelsaft in 5 Liter bag-in-the-bag Beuteln. Die Quitten sind, soweit möglich, verwertet: Unsere landwirtschaftlichen Arbeiten sind beendet. Martini kann kommen.

Das St. Martinsfest in Pruntrut und der gesamten Region Ajoie ist ein mehrtägiges Fest, das in seiner ursprünglichen Form an die Grablegung des Heiligen Martin von Tours am 11. November erinnern sollte. Das La Saint-Martin in seiner heutigen (vor rund 30 Jahren wiederbelebten) Form ist ein organisiertes, kommerzialisiertes Fest mit einem grossen Markt von meist lokalen, kulinarischen Angeboten wie Wurstwaren, Käsekuchen, Schnaps und Wein (und Falafel) sowie handwerklicher Kunst oder umgekehrt. Die ansässigen Händler locken mit Rabattschlachten. Die Restaurants locken mit Schlachtplatten. In den Strassen dominieren schweinchen-rosafarbene Kopfbedeckungen. Und tout le monde freut sich darüber.

Wir assen einen Käsekuchen (Rezept: etwa wie mein Käsekuchen Berlincourt), tranken ein Glas Glühmost, kauften uns ein paar Saucisses d’Ajoie, fuhren mit der Bahn wieder nach Hause und kochten uns anderntags unseren eigenen Martinsteller:

Salzkartoffeln mit Schnittknoblauch, -Grün und -Samen. Wurst, Weisskraut mit Quittenwürfeln, Zwiebel, Vin jaune und einem Schuss Sojasauce. Im Glas: Süssmost. Das braucht kein Rezept.

CH-3000 Bern. Immer wieder.

Einfach mal auf die Schaukel sitzen und sich in die Ferne denken. Fern darf auch nah sein. Dann die Gedanken umsetzen: Mit dem Zug nach Bern fahren, 85 Minuten, Sparticket. Mittagessen. Brot einkaufen. In ein Museum gehen oder sonstwas angucken und wieder heim in den Jura. Schliesslich will die sechzehnjährige, blind-taube Shelly gegen 18 Uhr ihr Futter.

Oft gehen wir zu Fabian Raffeiner ins Zoe, das derzeit beste, vegetarische Restaurant der Stadt. Manchmal für den kleinen Lunch, oft für das grosse Abendmenu zu Mittag. Anstelle einer Tellerorgie hier nur ein Beispiel: Büffelmozzarella-Tortellini, Madeiraschaum, Morcheln, geschälte Erbsen, frittierte Erbsenschalen, Erbsenmousse.

Nach dem Mittagessen bietet sich ein kleiner Rundgang durch die Altstadt und rund um das Aareknie an.

Eine lange Treppe führt von den einst hochwohlgeborenen Bewohnern der Altstadt hinab zu denen „da unten“: ins Mattenquartier. Oben residiert die Post noch in Palästen, hier unten stemmt sie sich mit Handel von Trödel gegen den wirtschaftlichen Niedergang 😉 Da unten schreibt wohl keiner mehr Briefe.

Am Südhang der Berner Altstadt, seitlich der gewaltigen, mittelalterlichen Stützmauer der Münsterterrasse, lädt der Stiftsgarten zu einem Besuch ein.

In dieser grünen Oase dreht sich viel um Biodiversität, nachhaltige Gartenkultur und gemeinsames Erleben: Münster mit Quitten.

Ein Schaugarten, der das Wissen rund um Natur und Gartenkultur vermittelt, gleichzeitig aber auch ein Ort für Begegnung und des Austausch ist.

Hoch oben, Aareabwärts, thront(e) der ehemalige Stadtadel. Heute noch von fleissigen Berner Bienen gestützt.

Und wenn wir schon die lange Treppe zum Münster hinab- und wieder hochgestiegen sind, nehmen wir den Münsterturm auch noch gleich mit (+344 Stufen):

Hier wird das Berner Wappen nicht hinabgetragen sondern von Engeln eingeflogen.

Zu den bedeutenden Ausstattungsstücken des Münsters gehört das Chorgestühl. Es wurde vom Berner Holzschnitzer Ernst Manuel um 1517, also kurz vor der Reformation, fertiggestellt

Das Chorgestühl, mit seinen 170 Sitzen ein bedeutendes Werk der Spätgotik, ist mit zahlreichen geschnitzten Figuren verziert, darunter der Totenkopf als Symbol der Vergänglichkeit

Das „Totentanz“ Fenster im Berner Münster bebildert 20 Szenen des Totentanz von Niklaus Manuel (1516–1519). Das Fenster ist eine Nachbildung aus dem Jahre 1918 und zeigt in derben Darstellungen, wie der Tod Menschen aus ihrem Leben reisst. Hier nurein Ausschnitt.

Im Marziliquartier gibt es modernere Kunst zu bestaunen: L’homme témoin (Anne Wilhelm, 1990)

Zum Abschluss unser Bundeshaus, das Parlamentsgebäude in einer Wolke aus Wasserdampf. Heisse Luft hat einen höheren Wassergehalt, steht aber auch für leeres Gerede oder Versprechungen ohne Substanz. Das Wappen des 1978 gegründeten Kantons Jura musste mit einem Eck-Plätzchen am Flaggenfries vorlieb nehmen. Rechtsaussen, ausgerechnet.

Siehe auch ältere Beiträge:

CH-3000 Bern: Ausflug im Winterlicht

CH-3000 Bern: durch vordere und hintere Gassen

L‘ Orchidée und Rosen

Nach einem Blumen-, Orchideen- und arbeitsreichen Jahr war es wieder mal an der Zeit, uns mit einem guten Essen zu belohnen. Warum nicht ins L’Orchidée im nahen Altkirch ? Einem in unserer Region seit 2017 bekannten Sternerestaurant mit französisch-thailändischer Küche.

Erst bei der Reservation bemerkte ich, dass Chatchai Klangklong inzwischen in die Nähe von Mülhausen gezogen ist und seinen Herd seit Anfang Jahr im ehemaligen Hotel-Restaurant La Couronne in Ensisheim aufgestellt hat.

Die amuse-bouches waren schon viel versprechend: Leider hat sich meine Handy Autokorrektur verselbstständigt und meine eilig eingetippten Bemerkungen in Kauderwelsch verwandelt. 3 Wochen nach dem Besuch konnte ich mich nur noch an die grundlegenden Geschmacksrichtungen erinnern: Kokosmilch, Erdnuss und Krabben

eine Rose im l’Orchidée: frischer Thunfisch in weissen und roten Radisscheiben. Marmorierte Saucen aus Kaffirlimette und Fischsauce

Königskrabbe in Tempura gebacken, Mayoschaum mit schwarzem Knoblauch und Limette parfumiert

Riesencrevette, frische und confierte Tomaten, Infusion aus Kokosmilch, Galgant, Kaffirblätter-Zitronengrasschaum

Filet de maigre, Spinat, Lachsrogen

Kalbsbries, Zucchini, Tamarinde, Thai-Aubergine

Erdbeerdessert mit weissen Erdbeeren. Meringe mit Sumach, Erdbeersauce und Sumach-Eis.

Essen und Anbiance wiederum sehr gut. Von der Elsässer Orchidee über den Rhein zu den Rosen im Landhaus Ettenbühl (Markgräflerland) sind es nur wenige Kilometer. Ein schöner Abschluss, auch wenn die meisten Rosen schon verblüht waren.

Im Bambuswald

Englische Gartenkultur

Gemüsegarten

Lavendelgarten

Garten-Nippes

CH-7482 Bergwandern in Bergün / Bravuogn (1/2)

Und schon wieder eine Blumenreise. Diesmal organisiert durch die Botanische Gesellschaft Basel (Dr. Verena Wiemken und Prof. em. Dr. Thomas Boller). Kurz vor Mittag Ankunft im Hotel, danach gings gleich zackig hoch. Die Mittagspause reichte gerade aus, um den Abschlussstein auf die Steinpyramide zu legen.

Die Wanderpausen wurden durch kurze, wissenschaftliche Vorstellungen der auf dieser Meereshöhe vorkommenden Baumarten unterlegt.

Die zweiblättrige Waldhyazynthe, Platanthera bifolia

Eine sich eben entfaltende Türkenbund-Lilie, Lilium martagon

eine verblühende, Mücken-Händelwurz, Gymnadenia conopsea (korr, 03.08.25)

Der Blick auf das 1370 m hoch liegende Dorf an der Albula-Passstrasse

oder ganz einfach auf eine ungedüngte Alpwiese

Bergün liegt im Albulatal an der Albulapassstrasse und an der Albulabahnlinie der Rhätischen Bahn. Im früher romanischsprachigen, wirtschaftlich und kulturell eng mit dem Engadin verbundenen Dorf wird heute mehrheitlich deutsch gesprochen. Ein typisches Strassendorf: beidseitig der ansteigenden Hauptstrasse reihen sich Häuser im Engadiner Stil aus dem 16. bis 18. Jahrhundert mit Sgraffiti, Erkern und Fenstergittern.
Neben der Viehwirtschaft bildeten der Verkehr über den Albulapass und der Bergbau (Eisenerz) die Lebensgrundlagen des Ortes.

Die reformierte Kirche Bergün wurde im Jahre 1188 erstmals urkundlich erwähnt. In vorreformatorischer Zeit (ca. um 1500) erfolgte ein Umbau in spätgotischem Stil. Damals entstand auch der Freskenzyklus durch einen italienischen Wandermaler, u.a. mit Motiven der Passion Jesu Christi. Die Kirche weist im Inneren eine mit Schnitzkunst und vielfältiger Schablonenmalerei verzierte Leistendecke auf.

Als 1903 die Albulabahn eröffnet wurde, erwarteten die Bergüner einen Aufschwung, der das Dorf auf das touristische Niveau der Oberengadiner Kurorte St. Moritz und Pontresina heben sollte. Ausdruck jener Hoffnungen ist das 1906 im Jugendstil erbaute Kurhaus Bergün. Darin hätten sich Engadinreisende ein paar Tage an die Höhenlage akklimatisieren sollen. Doch die Reisenden wollten sich nicht akklimatisieren, sondern fuhren mit der Bahn gleich direkt ins Engadin.

Der erste Weltkrieg brachte den Betrieb an den Rand des Ruins. 1949 wurde das Haus nach einem Dachstockbrand geschlossen. Ab 1952 übernahm der Schweizerische Verein für Familienherbergen das Kurhaus und baute die Hotelzimmer in Ferienwohnungen um. Der Ertrag reichte jedoch nicht aus, um den Bau instand zu halten. Im Jahr 2002 wurde das heruntergekommene Haus vorerst geschlossen. Langjährige Stammgäste gründeten eine Auffanggesellschaft und bewahrten es damit vor dem Untergang. Seither wurde das Gebäude in kleinen Schritten im denkmalpflegerischen Sinn auf vorbildliche Weise und mit viel Geschick restauriert, entstaubt und als wertvolle Jugendstilperle für das neue Jahrhundert fit gemacht.

Mehr über Bergün siehe auch mein Artikel aus dem Jahr 2014:
CH-7482 Bergün

Der Besuch der alten Bibel

Der Besuch einer alten Dame in Delémont im Jura. Eine weitere, tragische Komödie: ein Wälzer mit 1200 Jahren Geschichte. Nahezu 1000 Seiten, 22 Kilo schwer. 53 cm hoch. 40 cm breit, 13.5 cm dick.
Ich rede von der berühmten Bibel von Moutier-Grandval, dem längst zerstörten Kloster im Jura.

Moutier-Grandval wurde etwa 640 von irischen Missionaren gegründet. Der heilige Germanus von Trier wurde zum ersten Abt bestimmt. Zunächst lebten die Mönche nach den Regeln des heiligen Columban, ab dem 9. Jahrhundert wurde die Benediktinerregel eingeführt.

Zu Beginn war das Kloster Moutier-Grandval eine in sich geschlossene Gemeinschaft vom Mönchen. Rudolf III. von Burgund schenkte 999 das Kloster dem Basler Bischof (weil Rudolf fest an den Weltuntergang im Jahre 1000 glaubte). Ab dem 11. Jahrhundert wurde die Gemeinschaft zu einem Chorherrenstift. Nicht mehr als 12 Prälaten, meist von adliger Herkunft, die nicht in Gemeinschaft zusammen leben mussten und persönlichen Besitz anhäufen durften. Das eigentliche Kloster wurde um das Jahr 1000 aus unbekannter Ursache zerstört und nicht wieder aufgebaut. Die Abtei spielte jedoch weiter eine wichtige Rolle in der religiösen und kulturellen Entwicklung der Region.

Entgegen ihres Namens entstand die Bibel nicht im Kloster Moutier, sondern in Tours, etwa 250 km von Paris entfernt. Sie ist eines der Zeugnisse der karolingischen Renaissance, angestossen vor allem durch Kaiser Carolus Magnus. Die Karolinger prägten vom 8. bis ins 10. Jahrhundert die westliche Hemisphäre. Karl der Grosse führte kulturelle und politische Reformen durch, wie z.B. die Förderung der Bildung und die Einführung neuer organisatorischer Strukturen. Die Schaffung gemeinsamer Werte für das ganze Christentum stärkte den Zusammenhalt des riesigen Reiches. In diesem Zusammenhang entstand im Jahr 796 in Tours das Skriptorium St. Martin, eine Schreib- und Buchmalerei-Werkstätte, in welcher die biblischen Urtexte überarbeitet und in kunstvoll gestalteten Unikaten von Hand beschrieben und bemalt wurden. Aus den Werkstätten in Tours sind weltweit noch etwa 50 Exemplare erhalten geblieben. Das schönste noch erhaltene Exemplar ist die Bibel von Moutier-Grandval, wohl weil sie nur selten gelesen wurde.

Diese Bibel wurde zwischen 820 – 830 erschaffen. Ihre Anfertigung dauerte mehrere Monate. Allein für die Vorbereitung der Pergamente wurden rund 220 Schafshäute benötigt. Man geht davon aus, dass bis zu 24 Mönche gleichzeitig mit Schreiben und Malen einer Bibel beschäftigt waren. Wunderschön wie Zierinitialen, Titel und Untertitel gemalt sind. Der Textkörper ist in karolingischen Minuskeln geschrieben. Ein zentrales Element der Reform Karls des Grossen. Die Klarheit dieser Schrift mit abgegrenzten Buchstaben und Abständen zwischen den Wörtern erleichterte die Kommunikation im ganzen Reich,

Wann und wie die Bibel ihren Weg nach Moutier gefunden hat, ist nicht eindeutig geklärt, man vermutet, dass sie der Abtei im 9. Jahrhundert als Prestigeobjekt geschenkt wurde. Ein nachträglicher Eintrag aus dem 16. Jahrhundert weist darauf hin, dass die Bibel damals noch in Moutier war. Danach verlor sich ihre Spur bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts.

Denn die Zeiten waren den gut betuchten Chorherren nicht hold. Die erste grosse Umwälzung war die Reformation. Kurz bevor aufgebrachte Bauern die Stiftskirche zerstörten, konnten die Chorherren ihre mobilen Besitztümer ins katholische Solothurn retten. Ein Jahr später liessen sie sich definitiv in Delémont nieder, im Herrschaftsbereich des Fürstbischofs von Basel.

Die französische Revolution brachte weiteren Unbill. Kurz vor dem Einmarsch der französischen Truppen, 1792, flohen die Chorherren erneut nach Solothurn. Doch die französische Besetzung des Fürstbistums Basel bedeutete die faktische, das napoleonische Konkordat mit Papst Pius VII. die juristische Aufhebung des Stifts. Das Fürstbistum Basel wurde 1800 dem Département Haut-Rhin einverleibt und der Stift Moutier-Grandval 1802 aufgelöst.

Während dieser Wirren wurden der Schatz und die Archive von Moutier-Grandval aufgelöst, verschoben, verhökert, versteckt oder ging verloren.

Als die Franzosen definitiv weg waren, tauchte die Bibel auf einem Delsberger Dachboden wieder auf. Nach einem zeitgenössischen Bericht wurde sie 1812 „von zwei alten Jungfern“ für 2 Batzen (etwa 10 Franken) dem ehemaligen Bürgermeister der Stadt zum Kauf angeboten. 1822 wurde die Bibel an einen Basler Antiquitätensammler für 24 Louisdor verkauft. Dieser erkannte den Wert des Buches, erstellte ein Dossier und bereiste damit halb Europa. Schliesslich gelang es ihm, das Buch der British Library zu verkaufen.

Und da blieb sie nun, bis das Musée d’art et de l’histoire in langjährigen, zähen Verhandlungen sich das Buch für drei Monate ausleihen durfte. Mit strengsten Sicherheitsvorkehrungen natürlich. 5 Personen durften den „heiligen“ Raum für 5 Minuten betreten. Nach elektronischer Voranmeldung in vorgegebenen Zeitfenstern. Der Besucherandrang war riesig. Wir hatten Glück und erhielten am letzten Tag der Ausstellung noch 2 Eintrittskarten.

Eine didaktisch sehr gut gestaltete und reichhaltig dokumentierte Ausstellung, die die Reise des Buches in Etappen darstellt. Daneben sind weitere Bibeln aus den Skriptorien St. Martin und der Abtei Marmoutier in Tours ausgestellt.

Nun ist die weitgereiste Dame (lateinisch biblia, weiblich) wieder in London.

Für die wenigen Leser, die bis hier durchgehalten haben, gibt es noch zwei Zückerchen: Eine der 5 ganzseitigen Illustrationen : Erschaffung und Vertreibung von Adam und Eva. Nicht ganz jugendfrei. Mit dieser Geschichte aus der Genesis fing bekanntlich das Elend der Menschheit an.

Bildquelle: British Library

Wenige Wochen später besuchten wir Moutier für eine andere Bibelstory: die Geschichte von Nebukadnezar aus dem Buch Daniel, in Musik gesetzt von Giuseppe Verdi, Nabucco. Inszeniert und aufgeführt in Moutier von einem kleinen Ensemble lokaler und internationaler Künstler. Im alten, historischen Schützenhaus zu Moutier. 200 Plätze. Wir waren begeistert und haben uns die Aufführung zweimal hintereinander angesehen bzw. angehört.

Dazu, drei Nummern grösser, der Auszug aus einer Aufführung in Verona 2018, welche die biblische story in die Zeit des Risorgimento versetzte. Amartuvshin Enkhbat singt den Nabucco als k.u.k Generalissimus.

Quellen:

Historisches Lexikon der Schweiz: Moutier-Grandval
Flyer Musée jurassien d’art et d’histoire zur Ausstellung

Sizilien (8) : Palermo e dintorni

Von Palermo aus fuhren wir der Küste entlang nach Trapani, in die Riserva Naturale Saline di Trapani. Das rund 100 ha grosse Gebiet, in dem seit jeher und noch heute Meersalz gewonnen wird, ist ein wichtiges Vogelschutzgebiet, das zahlreichen Zugvogelarten, insbesondere Flamingos, Schutz bietet. Es beherbergt aber auch viele endemische Pflanzenarten, die sich an die Salzkonzentration der Salinenfelder und Salzmarschen angepasst haben. So z.B. der seltene Malteserschwamm, Cynomorium coccineum, ein Vollschmarotzer der an den Wurzeln der Küstenpflanzen parasitiert.

Oder die Meeresstrand-Ringelblume, Calendula maritima.
Aus dem Meer grüsst die Colombaia, das Castello di Mare, eine mittelalterliche Festung sehr alten Ursprungs, die auf einer kleinen Insel am westlichen Ende des Hafens von Trapani liegt. Der antike Historiker Diodorus Siculus benannte um 260 v. Chr. Hamilkar Barkas (Vater von Hannibal) während des Ersten Punischen Krieges den Bau der militärische Festung veranlasst zu haben.

Mehr als die riesigen Salzhalden interessierte mich der Taucher, der mit einer Beute von 6 zappelnden Oktopussen aus dem Meer stieg.

An Trapani vorbei auf das 16 km nördlich, hoch über Trapani gelegene Erice . In der Antike hiess die Stadt Eryx und war mit Segesta und Entella eine der drei grössten Städte der Elymer. Die Elymer waren ein Teil der vorgriechischen Bevölkerung Siziliens. Laut Vergils Aeneis gehörten sie zu den Trojanern, die mit Aeneas aus Troja geflohen sind, dann aber nicht mit ihm weiter nach Latium zogen. Alte Geschichten. Eryx wurde vom 6. bis zum 3. Jahrhundert v. Chr. zu einer punischen Zitadelle und diente Hamilkar Barkas im Ersten Punischen Krieg mehrere Jahre als wichtiger Stützpunkt. Zu Beginn des 5. Jh. v. Chr., geriet die Stadt kurze Zeit unter den Einfluss von Akragas. 241 v. Chr. fiel die Stadt an die Römer.

In der Spätantike wurde die Stadt verlassen. Zeitweise war sie von den Arabern besetzt. Die Normannen besiedelten die Stadt im 12. Jahrhundert neu und errichteten dort ein Kastell. Im Mittelalter erblühte die Stadt, Kirchen und Klöster wurden gebaut.

Die  Stadtmauer aus punischer Zeit begrenzt auch heute noch die Stadt. Durch die Lage auf einem hohen Berg hat man von Erice aus eine einzigartige Aussicht auf das Landesinnere und das Meer. Die Einwohner leben hauptsächlich von Tourismus, Landwirtschaft und Handwerk…und ächzen oder profitieren unter der Mafia.

Die Porta Trapani, eines der 3 Stadttore.

Auffallend die durchgehend geometrisch gemusterte Pflästerung der Stadt.

Piazza Umberto I.

Chiesa San Giuliano

Chiesa di San Martino. Barock

Das normannische Castello di Venere aus dem 12. Jhdt.

Sehr empfehlenswert die Pasticceria Grammatico u.a. mit den -gemäss unserem Chauffeur- besten Genovese-törtchen Siziliens. Wer sich einen Kaffee auf der versteckten Gartenlaube bestellt, kann die langen Warteschlangen vor dem Laden umgehen.

Zuviel Zeit beim Kaffee vertrödelt. Einmal mehr drängte das Blumenprogramm. An den Hängen unterhalb Erices wurden wir fündig:

Neapolitanischer Lauch, Allium neapolitanum, in Vollblüte

u.a. Bienen-Ragwurz, Ophrys apifera.

Anderntags ein Ausflug in die Riserva Naturale Orientata Bosco della Ficuzza bei Corleone, im Hinterland von Palermo. Ein schönes, königliches Jagdschloss, ab 1799 im Wald von Ficuzza für König Ferdinand III. von Sizilien erbaut.

Dahinter viel Wald. Grün. Gluckernde Bächlein.

Gelbe Ragwurz, Ophrys lutea

Provence Knabenkraut, Orchis provincialis.

Italienisches Knabenkraut, weissblühend , Orchis italica albiflora

und wieder an die Nordküste, an die Hänge des Monte Catalfano
Blick auf das Capo Zafferano, das Safran Kap.

Tag der Heimreise. Wir müssen da unbedingt nochmals hin.

Fin de série

Sizilien (7) : Monreale, Palermo

Stadttag. Heute keine Orchideen. Erst in das berühmte Monreale.
Der sizilianische König Wilhelm II. errichtete nach 1172 Monreale als Sitz eines Klosters und liess dort einen festungsartigen Gebäudekomplex erbauen, der eine Kathedrale, ein Erzbischöfliches Palais, einen Königspalast und ein Benediktinerkloster umfasste. 1183 erlangte er von Papst Lucius III. die Erhebung des Klosters zum Erzbistum Monreale. Dies geschah gegen den Widerstand des Erzbischofs von Palermo, der darin eine Schwächung seiner eigenen Autorität sah. Von all den Bauten ist heute lediglich der Dom mit dem Kreuzgang erhalten geblieben. Um diesen Komplex herum entwickelte sich der mittelalterliche Ort.

Das Bronzetor mit Szenen aus der Bibel ist zwischen 1185 und 1186 entstanden, ein Werk von Bonanno Pisano, dem italienischen Bildhauer, der 1175 am Bau des Schiefen Turms von Pisa mitbeteiligt war.

ihre volle Schönheit entfaltet die Kathedrale im Inneren der Kirche. Hier bedecken byzantinische Goldgrund-Mosaike die gesamten Innenwände der Kirche auf einer Fläche von 6.340 m². Damit enthält sie den weltweit grössten einheitlichen byzantinischen Mosaiken Zyklus.

Der Zyklus stellt verschiedene Geschichten aus dem alten und neuen Testament dar. Die Figur des Christus als Pantokrator (Herrscher der Welt) befindet sich in der Apsis des Doms und dominiert den zentralen Innenraum.

Daneben ist der Dom für seinen Kreuzgang berühmt. Der einzige vom einstigen Benedektinerkloster noch verbliebene Teil. Der überdachte Kreuzbogengang umschließt den quadratischen, offenen Innenhof mit einer Fläche von 47 x 47 Metern. Besonders die 26 spitzbögigen Arkaden an jeder Seite des Kreuzganges sind beeindruckend.

Jede Arkade wird von individuell ornamentierten, teils goldunterlegten oder mit Mosaiken- und Edelsteinen dekorierten Doppelsäulen getragen. Insgesamt besteht der Gang aus 228 Doppelsäulenpaaren. Keines gleicht dem anderen.

Danach fuhren wir zurück nach Palermo. Welche Stadt! Voller Leben und voller Menschen, an einem gewöhnlichen Mittwoch.

Am Standort der heutigen Kathedrale von Palermo war schon im 6. Jahrhundert eine frühe Kathedrale errichtet worden. Die Araber wandelten sie in eine Moschee um. Nach der Eroberung Palermos durch Roger I. wurde die Moschee wieder Sitz des Erzbischofs.

Nach einem starken Erdbeben 1169 wurde die alte Kathedrale abgerissen. 20 Jahre später stand der Neubau. In den folgenden Jahrhunderten wurde immer wieder an- und umgebaut: die 4 Ecktürme erhielten gotische Aufsätze. Der Haupteingang wurde auf die Südseite verlegt und mit einem Portikus im Stil der katalanischen Spätgotik ergänzt. Über der Vierung wurde im 18. Jhdt. eine klassizistische Kuppel eingebaut. Auch das Innere wurde in klassizistischem Sinne verändert. Doch aller Ehrgeiz der palermitanischen Bischöfe half nichts. Die Schönste ist und bleibt die Kathedrale in Monreale.

Da die Bauweise mit zwei seitlichen Türmen am Westwerk den Königsdomen vorbehalten war, ließ einer der Bischöfe einen grossen, freistehenden Turm vor der Westfassade errichten, der nur über Spitzbogenarkaden mit dem Hauptbau in Verbindung steht. 

Palermo wurde während des 2. Weltkrigs innerhalb von drei Jahren von fünf verschiedenen Luftwaffen bombardiert: der französischen, britischen, amerikanischen, italienischen und deutschen. Die Angriffe richteten schwere Schäden in der Stadt an. Das Stadtzentrum wurde flächendeckend beschädigt, mehr als 2000 Menschen verloren ihr Leben. Über 40% des Wohnungsbestandes ging verloren. Noch heute zeigen sich in der Altstadt Lücken und Ruinen. Doch lassen wir das.

Stop oder Pizza?

Am Quatro Canti, der Kreuzung von Corso Vittorio Emmanuele und Via Marqueda.

Gleich ums Eck liegt der Fontana Pretorio, im Volksmund Brunnen der Schande benannt. Der ursprünglich von Neapels spanischem Vizekönig für seine Florentiner Villa in Auftrag gegebene Brunnen wurde von mehreren Künstlern aus Florenz gestaltet. Noch vor Fertigstellung verstarb der Auftraggeber. Sein Sohn verscherbelte das freizügig gestaltete Werk an die Stadt Palermo. Vor dem Palazzo Pretorio wurde eigens ein Platz eingeebnet und der Brunnen aus 644 Einzelteilen wieder zusammengefügt. Das war im Jahre 1554. Noch heute werden den armen Skulpturen Köpfe, Arme oder Beine abgeschlagen. Nacktheit wird von Rechtgläubigen nur unter der Decke geduldet.

Nach einem kurzen, vom lokalen Organisator offerierten Imbiss im Torre di San Nicolò di Bari eilte die Zeit plötzlich, der Tagesplan sah einen Besuch im Botanischen Garten vor. Im Sturmschritt eilten wir durch die engen, mittelalterlichen Gassen des ältesten Lebensmittel-Marktes der Stadt, den Markt Ballarò.
Dieser lebhafte Markt befindet sich im multikulturellen und mehrsprachigen Viertel Albergheria und liegt zwischen der Piazza Ballarò bis hin zur Piazza Carmine. Neben Italienisch werden hier auch Arabisch und afrikanische Dialekte gesprochen. Hier hätte ich mich gerne länger verweilt.

Manche Händler verkaufen anstelle der Rohprodukte lieber fertig zubereitete Take-away Speisen. Daran verdient man mehr. Ist ja auch auf unseren Märkten so.

Der Botanische Garten ist in der umtriebigen Stadt ein Ort der Ruhe. Schöne, vielfach exotische Bäume, aber aus Geldmangel unzureichend unterhalten. Gut, dass wir kein Gartenwerkzeug dabeihatten, sonst hätte Frau H. sicher angefangen zu jäten.

Florettseidenbaum, Ceiba speciosa

Grossblättrige Feige, Ficus macrophylla

Sizilien (6) : Von Wildtulpen durch den Schnee nach Cefalù

Blufi, ein altes Dorf am Süd-Fuss des Gebirgszuges der Madonie, gilt im Frühjahr wegen seiner roten Wildtulpenfelder als „die Niederlande Siziliens“. Im Frühling heben sich die zart-rote Blütenblätter zwischen Mandel- und Olivenbäumen ab. Typisch für die Tulipa raddii ist, dass die Zwiebeln sehr tief liegen und somit auch dem Umpflügen der Felder widerstehen.

Schöner Beifang: Haferwurzel, Tragopogon porrifolius, Purpur-Bocksbart

Danach fuhren wir für die nächsten 2 Tage in der Bergwelt der Madonie herum. Das Gebirge befindet sich ziemlich genau in der Mitte der Nordküste Siziliens südlich von Cefalù und gehört zur Metropolitanstadt Palermo. Zusammen mit benachbarten Bergen sind die Monti Madonie die Fortsetzung der Gebirgskette des Apennin. Sie bestehen überwiegend aus Kalkstein und Dolomit. Die höchsten Erhebungen der Madonie liegen auf über 1900 Höhenmetern.

mit Sommerreifen durch Schneematsch. Kein Problem für unsern Fahrer Nicolà.

Stop bei Quacella

Sogar im Schneegestöber gibts etwas zu sehen: Das weissfilzige Greiskraut, Jacobaea maritima.

und die sizilianische Zwergiris, Iris pseudopumila. In gelb und violett.

Talabwärts wilde Korallen-Pfingstrosen, Paeonia mascula vor einer Steineiche, alles tropfnass


Aufwärmen bei einem caffè in der vorzüglichen Pasticceria Fiasconaro des kleinen Bergstädtchens Castelbuono. Eingekauft: Eine Colomba, Torrone siciliano ai pistacchi und Torroncini alla manna, hergestellt aus dem Saft einer Eschenart, der sogenannten Manna-Esche, Fraxinus ornus (nicht zu verwechseln mit dem biblischen Manna aus Johannisbrotbäumen). Diese besondere Esche wird im Tal zwischen den Mannadörfern Pollina und Castelbuono in den Madonie-Bergen angebaut. Der Saft dieser Esche wird durch Anritzen der Baumrinde gewonnen und enthält bis zu 13% Mannitol, ein Zuckeralkohol, dessen Name sich vom Manna ableitet. Mannitol ist etwas weniger süss als Saccharose, wirkt leicht laxativ und wird als Zuckerersatzstoff genutzt.

Castello di Castelbuono, beherbergt heute das Museo civico.

Castelbuono, Piazza Margherita

Danach noch ein kurzer Besuch im Naturkundemuseum Museo Naturalistico Francesco Minà Palumbo, dem unser Orchideenführer als Direktor, Konservator und Kurator vorsteht. Das Museum befand sich zwar im Umbau und war geschlossen. Doch Antoine öffnete uns die Türen. Bücher und Memorabilien des Gründers Palumbo, Käfer, Mineralien, ausgestopfte Vögel und andere Tiere standen und lagen deshalb chaotisch in den Korridoren herum. Alles was Universalforscher im 19. Jahrhundert zu sammeln pflegten. Etwas verstaubt, aber wenigstens trocken.

L‘ aquila reale, ein Steinadler, auch tot ein imposantes Geflügel

Zum Abschluss ein Kurzbesuch in Cefalù. Die Stadt liegt an der Nordküste Siziliens am Fuß der Rocca di Cefalù, eines 270 Meter hohen Kalkfelsens.
Die Kathedrale Santissimo Salvatore wurde von Roger II., dem Normannenkönig von Sizilien veranlasst. Der Dom sollte zu seiner Grabkirche werden. Mit dem Bau wurde 1131 begonnen, die Arbeiten wurden in der Folgezeit jedoch mehrmals unterbrochen. 1240 wurde die Fassade fertiggestellt.

Das Innere besteht aus drei Schiffen. Die Mosaiken der Apsis wurden 1148 fertiggestellt. Sie werden von der Erscheinung des Christus Pantokrator dominiert.

Das städtische Waschhaus wird heute noch mit frischem Wasser aus den Madoniebergen versorgt.

Die Stadt verfügt über gute Läden. Wir deckten uns mit Pistazien aus Bronté DOC ein. Auch das ehrenwerte Handwerk eines Barbiers wird hier noch zelebriert.

Abendstimmung in Cefalù

Sizilien (5) : Grössenwahn in Agrigent

Die archäologischen Stätten von Agrigent südlich des heutigen Stadtkerns von Agrigent gehören zu den eindrucksvollsten archäologischen Fundplätzen auf Sizilien.

Die Hochblüte der Stadt, die damals unter dem griechischen Namen Akragas bekannt war, dauerte etwa von der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. bis zum Fall der Stadt im Jahr 406 v. Chr. In der kurzen Zeitspanne von rund 200 Jahren erlebte Akragas ein bemerkenswertes Wachstum, erlangte grossen Reichtum und politische Bedeutung… und den tiefen Fall in die Bedeutungslosigkeit.

Die Bronzeskulptur von Igor Mitoraj (2011) „Der gefallene Ikarus“ (auf dem Headerbild) versinnbildlicht den Grössenwahn der Stadt bzw. ihrer Herrscher.

Blick auf den Heratempel

Im Folgenden eine kleine Zeitreise:

Gründung und frühe Entwicklung: Akragas wurde um 582-580 v. Chr. von griechischen Kolonisten aus Gela und Rhodos gegründet und entwickelte sich schnell zu einer der bedeutendsten griechischen Städte in Sizilien und im gesamten Mittelmeerraum.

Herrschaft der Tyrannen: Besonders unter den Tyrannen Phalaris (ca. 570-554 v. Chr.) und Theron (ca. 488-473 v. Chr.) erlebte die Stadt eine Phase bedeutender territorialer Expansion, politischer Stabilität und kultureller Entwicklung. Insbesondere Theron dehnte seinen Machtbereich weiter aus und machte Akragas zur zweitwichtigsten Stadt Siziliens nach Syrakus. Das Gebiet umfasste grosse Teile Westsiziliens. 483 vertrieb er den Herrscher Terillos aus Himera (eine griechische Stadt an der Nordküste Siziliens). Terillos bat die Karthager um Hilfe, die jedoch in der Schlacht bei Himera von einer Allianz griechischer Stadtstaaten unter Theron und seinem Schwiegersohn Gelon, dem Tyrannen von Syrakus, vernichtend geschlagen wurden. Die Karthager verloren ihre gesamte Kriegsflotte, ihren Feldherrn Hamilkar; die Überlebenden gerieten in Sklavenschaft.

Bau prächtiger Tempel: Nach dem Tod Therons und der Vertreibung seines Sohnes wurde Akragas zu einer Demokratie. Der Reichtum der Stadt in dieser Zeit beruhte besonders auf dem Handel. In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts wurde die Mehrzahl der Tempel an der Südmauer errichtet, die einem vom Meer aus ankommenden Besucher einen imposanten ersten Eindruck von dem Reichtum der Stadt vermittelten.

U.a. ist der Heraklestempel der älteste Tempel an der südlichen Stadtmauer und stammt noch aus der archaischen Zeit zu Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. Er ruht auf einem dreistufigen Unterbau.

Trümmer des Tempels sind über das ganze Areal verstreut. Die acht Säulen auf der Südseite wurden 1924 (fehlerhaft) wieder aufgerichtet, der Säulenstummel auf der Nordseite bereits im 19. Jahrhundert.

Die Errichtung des Tempels des Zeus (Olympieion) wurde 480 vor unserer Zeit als grössenwahnsinniges Siegesmonument für die Schlacht von Himera begonnen. Er sollte den Sieg des griechischen Geistes über die Barbaren verherrlichen. Der Tempel wurde auf einem 5 Stufensockel errichtet. Die Grundfläche von 57 x 113 m erzeugte ein Bauwerk der Superlative. Es hätte der drittgrößte griechische Tempel der Antike werden sollen. Die äussere Halle bestand aus 7 × 14 etwa 17 m hohen Pfeilern, denen Halbsäulen vorgesetzt waren, die an ihrem unteren Ende einen Durchmesser von etwa 4 m hatten. Die Pfeiler waren durch eine durchgehende Mauer verbunden. An den Pfeilern waren fast 8 m hohe Figuren von Giganten, sogenannte Telamone oder Karyatiden angebracht, die die Last des Gebälks trugen.

Östlich des Tempels ist noch die Basis des mächtige Opferaltars zu erkennen.

Bei der Eroberung von Akragas durch die Karthager 406 v. Chr. wurde der Tempel, der noch nicht fertiggestellt war, zerstört. Vom einst monumentalen Olympieion sind nur noch die Grundmauern, einige Säulen- und Kapitellreste sowie ein riesiges Trümmerfeld übrig geblieben.

Der Concordia-Tempel, dessen Bezeichnung auf die Zeit des Renaissance-Humanismus zurückgeht. Der Tempel ist der besterhaltene Tempel Siziliens, weil er nach der Christianisierung 597 n. Chr. als Kirche genutzt wurde. 1748 wurde sie profaniert und anschliessend wieder weitgehend in ihren ursprünglichen Zustand zurückverwandelt.

Der letzte Tempel der Reihe ist der Heratempel an der Südostecke des Hochplateaus, auch Tempel der Iuno Lacinia genannt. Es ist jedoch unbekannt, welcher Gottheit der Tempel tatsächlich gewidmet war. 6 × 13 Säulen auf einem vierstufigen Unterbau.

Derselbe Tempel, von Caspar David Friedrich 1828–30 nach einer Vorlage nachgemalt. Zu sehen im Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund. Wunderbar der Sonnenuntergang mit Scirocco und rotem Saharastaub.

Oder etwas weniger kunstvoll, dafür schon ab 4 Euro im Agrigenter Andenkenladen beim Eingang Ost:


Kulturelles Zentrum: Akragas war nicht nur ein politisches und wirtschaftliches Zentrum, sondern auch ein bedeutender Ort der Kultur und Philosophie. Der berühmte Philosoph Empedokles stammte aus dieser Stadt. „Die Menschen von Akragas geniessen den Luxus, als ob sie morgen sterben müssten, errichten aber Bauten, als ob sie ewig leben würden.“ Mit diesem Bonmot soll Empedokles seine Mitbürger beschrieben haben.

Das Ende: Gegen Ende des 5. Jahrhunderts brachen zunehmend Streitigkeiten zwischen den griechischen Städten Siziliens aus. Nach Kriegen zwischen den Städten Selinunt und Segesta riefen die Selinunter Karthago zu Hilfe. 409 v. Chr. wurde Selinunt von den Karthagern (Karthager/Punier: semitische Phönizier aus den Küstengebieten Nordafrikas und Südspaniens), weitgehend zerstört und anschliessend von ihnen besiedelt. Die Karthager drangen weiter auf der Insel vor und eroberten und zerstörten noch im selben Jahr Himera, danach 406 v. Chr. Agrigent und 405 v. Chr. Gela.

Quellen: wiki

Sizilien (4): Piazza Armerina, Bikinimädchen und Schlammvulkane

Unweit von Piazza Armerina liegt die spätrömische Villa Romana del Casale, aus dem 3. bis 4. Jahrhundert nach Chr. Der beeindruckende Landsitz ist berühmt für seine Bodenmosaiken und ist ein wichtiges Denkmal des römischen Sizilien.
Der Gebäudekomplex der Villa del Casale bedeckt etwa 1,5 Hektar. Heute sind noch 45 Räume erhalten. Der Auftraggeber der Villa ist nicht bekannt. Jedenfalls muss es sich um eine bedeutende, wohlhabende Persönlichkeit gehandelt haben.

Grundriss: von wiki commons

Der Boden fast aller Räume des Anwesens ist mit Mosaiken aus farbigen Steinchen (Tesserae) bedeckt, die insgesamt eine Fläche von rund 3’500 m² bedecken und aus etwa 120 Millionen einzelnen Steinchen bestehen (ohne Gewähr, ich habe sie nicht nachgezählt), mehr als in jedem anderen bekannten Gebäude des römischen Reichs.

Die Mosaiken sind hervorragend erhalten. Im 12. Jahrhundert n. Chr. wurde sie durch Erdrutsche verschüttet, die die Decken und einen Teil der Wände zum Einsturz brachten. Ausser den Fussböden sind die Wände in einer Höhe von zwei bis zu acht Metern erhalten. Die Mosaiken werden heute durch einen Bau überdacht, der die antike Villa nachbildet. Besucher erhalten über Stege Zugang, die sich auf den antiken Mauern befinden und von denen man in die Räume von oben herab auf die Mosaiken schauen kann.

Vom Eingang der Villa aus gelangt man zu einem  Thermenkomplex, Caldarium (im Plan rot)

gut sichtbar der Aufbau der Hypokauste

Der Zugang zum Anwesen erfolgte über einen 28 m breiten monumentalen Eingang mit einem Vestibül mit drei bis zu 6 m hohen Durchgängen, die mit Malereien militärischen Charakters dekoriert sind.

Vom Vestibül gelangt man in das erste Peristyl (im Plan gelb) mit Wasserbecken sowie Säulen der für das dritte Jahrhundert typischen korinthischen Ordnung.

Vom hinteren, östlichen Teil des Peristyls gelangt man zum „Gang der grossen Jagd“. Ein Raum von 66 Metern Länge und 5 Metern Breite, dessen beide Seiten von Apsiden abgeschlossen werden. Dieser Gang stellt ein Verbindungs- und Trennungsglied zwischen dem öffentlichen und dem privaten (blau/violett) Teil der Villa dar. 

Anders als sein Name vermuten lässt, zeigen die Bodenmosaiken des langen Ganges keine Jagd, sondern eine grosse Tierfangaktion für die Spiele in Rom: Tiere, die in Nordafrika gefangen wurden, wie sie auf Galeeren verladen und am Zielort wieder entladen werden.

Eber

Ochsen

Nashorn, des Weiteren Löwen und Elefanten

Direkt angrenzend an die Treppen, die auf den Gang der grossen Jagd führen, befinden sich am südlichen Gang des grossen Peristyls zwei Diensträume, die ursprünglich mit geometrisch gemusterten Mosaiken ausgelegt waren. In einer späteren Bauphase wurde der eine Raum mit einem Mosaik ausgestattet, das als „Mosaik der Mädchen im Bikini“ bekannt wurde. Beweis, dass der Bikini nicht von den Franzosen erfunden wurde.

In den Räumen im hinteren Teil des Peristyls befindet sich ein grosser Raum mit Apsis. Der Mosaikfussboden zeigt den Dichter Arion von Lesbos, der durch seinen mit der Leier begleiteten Gesang allerlei Meerestiere, Tritonen und nackige Nereiden (Meernymphen) anlockt.

Nach dem Besuch der Mosaiken verkrümelten wir uns für 2 Stunden auf eigene Faust in der schönen Altstadt.

Eine mächtige Kathedrale, die Cattedrale di Maria Santissima delle Vittorie, sehr viele Barockkirchen, ein Kastell der Aragonier.

Chiesa di Fundrò. Im Zeichen des doppelten Kreuzes

Chiesa Sant’Anna. Wohnen in der Barockfassade.

Ein richtiges Opernhaus, das heute jedoch als Kinosaal benutzt wird.

Antipasti im Theaterrestaurant unter den Blicken von Turandot und Tosca.

Ende unseres Freigangs, der Bus erwartete uns am martialisch-skurrilen Kriegerdenkmal. Auf einem separaten Sockel steht der aus Piazza Armerina stammende Generalissimus Antonino Cascino, das Spielbein mutig auf einen Marmorblock vorangestellt. Nebenan ein stilisierter Berg mit einem Trupp namenloser, im Geröll hochkriechender Soldaten, die er mit seinem aktenkundigen Befehl gegen die österreichischen Befestigungen vorantreibt. „Siate la valange che sale“ (Seid die Lawine, die sich erhebt) . Generalen gehen die Worte leicht von den Lippen. Zumal vom sicheren Unterstand aus,

Danach Fahrt zu einem Feld mit niedlichen, blubbernden Schlammvulkanen, zu einem weiteren Orchideenfeld und schliesslich wieder ins Grand-Hotel vor Enna.

Sizilien (3): Naturreservate und Müllkippen

Naturreservate, hier z.B. die Riserva Naturale Pino d’Aleppo, werden in Italien (nicht nur in Italien!) gerne als Müllkippen missbraucht. Damit werden Oekosysteme, die für das Leben und die Balance auf unserem Planeten essenziell sind, empfindlich gestört. Natur, begraben unter Bierdosen, Waschmittelbehältern, Plastik und … einem Pokal. Den Pokal für Umweltverschmutzung haben sich die Verursacher verdient.

Das schien die reichlich vorhandenen Orchideen aber (noch?) keineswegs zu stören. Ähnliches beobachteten wir auf einer Orchideenwiese in einem Naturpark, wo die Gemeinde alljährlich vor Ostern das Gras samt Orchideen kurz scheren lässt, um Picknickenden eine bequeme Liegewiese zu bieten. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis uns die Natur fühlen lässt, wie abhängig wir von ihr sind. Dazu ein Zitat von Henry Ford: „Die Natur braucht keine Menschen – Menschen brauchen die Natur“.

Ohnhorn, Orchis anthropophora

Orchis italica x antropophora

Orientalischer Zungenstendel, Serapias orientalis

Noch mehr Ophrys bertolonii

Am Rand des Naturschutzgebietes ein herrschaftlicher, zerfallender Gutshof:

Rund um das verlassene Gehöft wächst die seltene, nur in Sizilien vorkommende, vom Aussterben bedrohte Gussones Traubenhyazinthe, Muscari Gossonei.
Unser Führer, Antoine Giardino, war niedergeschlagen, wie er sehen musste, dass das Gebiet heute als Motocross-piste benutzt wird. Viele der Hyazinthen waren einfach platt gefahren.

Weiter in ein Schutzgebiet an der Südküste Siziliens, in der Nähe von Gela.

Wundervolle weidenblättrige Akazien, Acacia saligna

Gelbe Hauhechel, Ononis natrix

Schnabel-Ragwurz, Ophrys oxyrhynchos

eine Art von Cylindropuntia Kakteen

Am späten Nachmittag Transfer in die Mitte Siziliens, nach Enna.

Sizilien (2): Orchideen und die Nekropolen von Pantalica

Die nächsten 2 Tage übernachteten wir Nähe Modica. Picknick- und Schokolade-Einkauf bei Lidl. Ich wäre lieber in der Antica Dolceria Bonajuto im Zentrum eingekehrt. Dafür reichte die Zeit leider nicht. Auf in die Berge, zu den Monti Iblei. Knallblauer Himmel.
Blick aus dem Busfenster auf Ragusa…

… und vorbei:
Orchideen bewundern an den Hängen des Monte Lauro. Insgesamt fanden wir an diesem Tag über 20 Orchiden, die täglich vor dem Nachtessen in der Artenliste dokumentiert wurden

Grossblütiges Schmetterlingsknabenkraut, Anacamptia papilionacea grandiflora

Frühblühende Wespen-Ragwurz, Ophrys tenthredinifera

Füllhorn-Fedia, Fedia cornucopiae (schön, auch wenns kein Orchidee ist)

Gelbe Ragwurz, Ophrys lutea

Spiegel-Ragwurz, Ophrys speculum

Dreizähniges Knabenkraut, Orchis commutata

Picknick auf dem Hochplateau des Naturparks Pantalica, hoch über den Flüssen Anapo und Calcinara. Die Nekropole von Pantalica ist eine der grossen Nekropolen Siziliens mit mehr als 5000 Kammergräber, die aus der späten sizilischen Bronzezeit und der frühen Eisenzeit stammen. Die Grösse des Gräberfeldes lässt auf eine lange Nutzung schliessen. Die Nekropolen wurden vom 13. bis ins 8. Jahrhundert v. Chr. genutzt. In der arabisch-normannischen Zeit wurden einzelne Grabkammern zu Wohnhäusern erweitert. Der Ort hatte jedoch keine Bedeutung mehr. Ausser einigen Ruinen ist nichts übriggeblieben.

Blick ins Tal des Anapo:

Heidekraut und andere Blumen schmücken den Eingang zu einem alten Grab.

Ausbaufähige Wohnung mit schöner Aussicht aber wenig Komfort.

Gerne wäre ich ins Tal zu den grossen Nekropolen hinunter gelaufen, aber… die Fraktion der Orchideenfreunde obsiegte über die Freunde toter Steine. Nächstes Orchideenfeld bei Cassaro.

Nochmals Wespen-Ragwurz, Ophrys tenthredinifera

Bertolonis Ragwurz (Ophrys bertolonii)

Gegen Abend doch noch ein paar Regentropfen in der macchia.